Die langgestreckte, südlich von Venedig gelegene Insel befindet sich gegenüber den Zattere
, welche das Sestiere von Dorsoduro im Süden begrenzen, und ist von Venedig durch den Canale della Giudecca getrennt. Die hier wiedergegebene Ansicht stammt aus der Vedute Venetie MD
und zeigt die Giudecca, die im Mittelalter als vigano
oder wegen ihrer Form auch als Spinalonga
(langer Dorn) bezeichnet wurde, nur an der Nordseite urbanisiert und mit umfangreichen Gartenanlagen im Süden. Der Kirchturm am rechten Rand gehörte zur Kirche San Giovanni Battista, die noch auf Ansichten u.a. von Canaletto zu sehen ist, heute aber nicht mehr existiert. Die Herkunft des Namens Giudecca ist nicht sicher geklärt; bisweilen wird angenommen, daß dort lebende Juden (giudei
) namensgebend gewesen seien. Die jüdische Gemeinde Venedigs wurde schließlich 1516 zwangsweise im Ghetto angesiedelt. Wahrscheinlicher aber ist, daß sich das Wort von Gerbereien (Zudeca
) ableitet, die naturgemäß am Rande einer Stadt angesiedelt waren und auf der Giudecca ab dem 13. Jh. nachweisbar sind. Auf der auch bei Tommaso Temanza wiedergegebenen Karte des Fra Paolino aus dem 13. Jahrhundert findet sich die Bezeichnung "Judaica". Quartiere mit dem Namen Giudecca existieren auch in Städten wie Palermo, Trapani, Syrakus und Lecce.
Wie Murano ist auch die Giudecca ab dem Ende des 15. Jahrhunderts mit Villenpalästen bebaut worden, von denen zwei links in Vergrößerung wiedergegeben sind. Leider sind, bedingt durch die zahlreichen Abrisse, welche im 19. Jh. zu einer grundlegenden strukturellen wie architektonischen Umgestaltung der Giudecca führten, von diesen palazzi nur wenige auf uns gekommen. Besonders bedauerlich ist der Verlust des Palasts Vendramin alla Giudecca. Es verbleiben noch, zumeist durch Umbauten aufs Gröbste entstellt, ein weiterer Palazzo Vendramin sowie die Palazzi Da Ponte Minelli, Mocenigo, Emo Donà De Franceschi, Maffetti, Moro Gritti und Foscari. Ebenfalls auf der venezianischen Palasttypologie basieren die Accademia dei Nobili
an der Fondamenta San Eufemia sowie die 2004 entkernte sogenannte Rocca Bianca
aus dem frühen 16. Jahrhundert. Am Südende des Rio de la Croce befindet sich das Casinò Sagredo und die zugehörige große Gartenanlage, die nach einem der Eigentümer im 19. Jh., Frederic Eden, als Giardino Eden
bezeichnet wird. Ein wichtiges Bauwerk aus dem 20. Jh. ist das Wohnhaus des Malers Mario De Maria, welches drei große Fenster in Anlehnung an den Dogenpalast aufweist.
Der bekannteste Kirchenbau auf der Giudecca ist Il Redentore
. Die dem Erlöser zum Dank für das Ende der Pest ab 1576 durch Andrea Palladio errichtete Kirche hätte nach dem Willen des Patriziers Marc Antonio Barbaro, einem wichtigen Förderer Palladios, bei San Vidal, also mitten in Venedig und am Canal Grande, gebaut werden sollen, doch Leonardo Donà, der Opponent Barbaros, konnte sich durchsetzen. Zur Festa del Redentor
, die noch immer jedes Jahr Anfang Juli gefeiert wird, wird die Giudecca mit den Zattere durch eine Pontonbrücke verbunden. Die Kirche Santa Maria della Presentazione, auch als Le Zitelle
bekannt, wird zumeist ebenfalls Palladio zugeschrieben, doch bleibt die Qualität weit hinter der gestaffelten Tempelfront von Il Redentore zurück. Im Westen der Insel befindet sich die alte Kirche S. Eufemia
Im 18. Jahrhundert zog sich der Adel von der Giudecca und aus anderen Randgebieten der Stadt zurück. Lebten im Jahre 1624 noch 18 Adelsfamilien auf der Insel, so war es 1761 keine einzige mehr. Im 19. Jahrhundert war die Giudecca - wie auch andere periphere Teile Venedigs - Gegenstand umfangreicher Industrieansiedlungen in den ehemaligen Gartenanlagen der Villen und in den säkularisierten Gütern. Die bekannteste dieser Industrie-Anlagen ist die Molino Stucky. Einige Kirchen und Klöster, wie Santa Croce oder SS. Cosma e Damiano, werden seit der napoleonischen Besatzung vom Militär genutzt. 1823 wurde die Kirche San Giacomo abgebrochen. Das um 1810 von Giannantonio Selva ausgearbeitete Projekt einer großen Militäranlage (passeggiata
) im Osten der Insel zwischen der der Punta San Giovanni und Santa Croce wurde nicht realisiert. Im ehemaligen Konvent der Convertiti
ist auch heute noch das Frauengefängnis untergebracht. Die Giudecca ist heute überwiegend von Arbeitern und einfacheren Leuten bewohnt, erfreut sich mittlerweile aber wachsender Beliebtheit bei der internationalen Prominenz.
Leider wurde die Chance, die der Niedergang der Industrien nach dem Ende des 2. Weltkriegs, besonders der Fabrik Junghans, bot, nur unzureichend genutzt. Riesige Flächen im Süden der Insel und am Rio de Ponte Longo wurden mit ungeschlachtem Wohnungsbau bebaut. Die mit dem klangvollen Namen Judeca Nova
betitelten Klötze bieten nicht den Hauch einer venezianeità
— und sollen ihn wohl auch gar nicht bieten. Denn die Einheimischen zählen nicht zur Zielgruppe.
Siehe auch: Wohnhaus auf der Giudecca.