Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 200 202

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Was letztere anbelangt, so haben wir über die Erbauungszeiten derselben theils gar keine, theils sehr unverbürgte Nachrichten. Jedoch kann man den Ausbildungsgang der Architecturformen an den Palästen durch Vergleichung mit öffentlichen Gebäuden ohngefähr feststellen und dadurch wenigstens annähernd den Zeitpunkt bestimmen, in dem dieser oder jener Palast gebaut sein mag. Wir werden demnach einige längere Perioden annehmen und die bemerkenswerthesten Paläste nach diesen Perioden ordnen, wobei wir aber vorausschicken, dass diese Ordnung eben nur in Folge jener Beobachtung der Architecturformen geschieht, wir damit also nur sagen wollen, dass diese Formen in die betreffende Periode gehören, dass der jedesmal in Rede stehende Palast also nach unserer Ansicht nicht früher gebaut sein kann, ohne dass wir deshalb in Abrede stellen wollen, dass er vielleicht später sei, da man ja ganz gut bei einem späteren Bau die zwanzig oder dreissig Jahre früher gültigen Formen noch einmal anwenden konnte.
Seite 150 ff. und 165 haben wir gesehen, in welcher Ausbildung der Eselsrückenbogen um die Mitte des 13. Jahrhunderts stand. Noch zeigte derselbe einen gewissen Mangel an Elasticität, noch waren die Nasen nicht organisch in die Bogen eingesetzt, sondern die Archivolte folgte den Contouren der bündig stehenden Nasen. Die Scheiben sassen noch sehr hoch, die Kämpferpilaster hatten noch scharfe Kanten.
Allmälig fing man nun an die Scheiben weiter herunter zu rücken, die lothrechten Schenkel der scheitrechten Einfassung bis zum Fussboden herabzuführen, die Kanten der Pilaster durch gewundene Stäbchen zu verbrechen, welche anfangs schüchtern angedeutet nur im Viertelskreis profilirt erscheinen. Die Blumen sind zwar noch ziemlich kurz, aber doch schon etwas kecker entwickelt ; die Sohlbänke aber zeigen noch eine viereckige Platte als Hauptglied, und haben im Allgemeinen nicht mehr Ausladung, als die Pilasterfusse, nöthig machen.
Unter den vielen Palästen oder Wohnhäusern, welche in ihrem Ganzen, oder wenigstens noch in Theilen diesen Typus zeigen, heben wir folgende hervor:
Der Pal. Caraggiani, nach Andern Zorzi, jetzt Antonacchi Liassidi gehörig, am Ponte dei Grechi. Derselbe hat in der Mezzana eine kleine Loggia von drei Fenstern und im Hauptgeschoss zu jeder Seite des spateren Pergolo je zwei grosse Fenster aus der in Rede stehenden Zeit; jene Loggia hat, in Folge ihrer Stellung in der Mezzana kurze gedrungene Verhältnisse, Capitäle ähnlich Fig. 51 und Pilaster mit unverbrochenen Ecken, auch keine rechtwinklige Einfassung; die obern Fenster scheinen etwas später zu sein ; sie haben bereits Blumen etc. nach eben angegebenem Typus, sowie einen kleinen gewundenen Stab an den

 

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