Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 280 282

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Kopf des Markus ist ungemein wahr und lebendig gearbeitet; das Beste am ganzen Portal aber ist unstreitig die sitzende Figur der Gerechtigkeit oben auf der Giebelblume, welche ihrem Meister alle Ehre macht; ihre Bewegung ist fein abgewogen , sie ist natürlich und ungezwungen, ohne die Würde, des Gegenstandes nur im Geringsten zu verletzen und diese Ungezwungenheit trägt namentlich dazu bei, dass diese Figur den Fehler nicht besitzt, den man den vier Tugenden in den Nischen vorwerfen kann, den nämlich, dass sie etwas zu massig für die umgebende Architectur sind.
Dieselben Bemerkungen erregt das grosse Fenster am Ueberbau des Dogenpalastes nach der Piazzetta zu an der Sala del gran Consiglio in noch stärkerem Maasse, denn abgesehen davon , dass es später Umänderungen erlitten hat, so zeigt es auch in seinen ursprünglichen Theilen keine rein mittelalterlichen Formen, vielmehr verräth es ein bereits ziemlich starkes Hinneigen zur Renaissance, dabei aber sind seine statuarischen Verzierungen, sowie das Blattwerk, ziemlich mit derselben Meisterschaft gearbeitet, als die an der Porta della Charta. Die spätem Arbeiten des jüngern Bartolomeo Bon, welcher bekannt ist unter dem Namen Bergamasco, zeigen an, dass derselbe sich ganz der neuen Richtung, der Renaissance zuwendete, deren Einfluss Venedig länger widerstand , als irgend eine andere Stadt Italiens. Die Gründe dieses langen Haftens an mittelalterlicher Kunstrichtung haben wir schon früher erörtert. Ein fester Zeitpunkt für die Einführung der neuern Kunstrichtung und vollständige Beseitigung der mittelalterlichen Elemente in Venedig ist kaum anzuführen, denn während an einigen Kunstwerken bereits alles Mittelalterliche als abgestreift erscheint, werden doch zugleich an andern die gothischen Formen theils vollständig, theils wenigstens nebenbei noch beibehalten. Zu derselben Zeit, als die Brüder Bon mit Vollendung des Dogenpalastes beauftragt waren, als Giovanni de Santis und Moranzone (s. S. 252 und 258), wahrscheinlich unter Bartolomeo's Leitung, an der Kirche S. Maria dell' Orto Arbeiten lieferten, welche noch sehr viel germanischen und pisanischen Einfluss zeigen und sich der mittelalterlichen Richtung des Bartolomeo anschliessen, arbeitete Donatello um 1440 im Auftrag der Republik die bronzene Reiterstatue des Generals Gattamelata vor der Kirche S Antonio in Padua und mehrere Reliefs im Innern dieser Kirche, sowie um das Jahr 1428 die Statue Johannes des Täufers in S. Maria aï Frari in der Kapelle 11 , Fig. 53; alle diese Werke aber tragen das Gepräge derber Leidenschaftlichkeit und realistischer Auffassung; in Ausdruck und Verhältnissen, in Anordnung und Bewegung aber zeigen sie ein bewusstes Anlehnen an classische Vorbilder und ein vollständiges Verlassen der germanisirenden Richtung seiner

 

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