Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 279 281

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Giebel bildend, der durch einen riesigen Blumenknaul geschlossen wird. Dieser Blumenknauf bildet zugleich das Consol für eine auf einem Löwenthron sitzende Figur der Gerechtigkeit; das Giebelfeld enthält ein Medaillon mit dem Brustbilde des heiligen Markus, von drei Engeln gehalten; die Kriechblumen sind in derselben Weise behandelt, wie die auf den Lünettengiebeln der Markuskirche, nur mit dem Unterschiede, dass nicht aus den Blättern selbst Figuren aaswachsen, sondern zwischen den Blättern sind kletternde Amoretten eingesetzt. Die Tabernakelbaue zu den Seiten des Giebels sind mit Vialen bekrönt, deren Leiber offenbar zu niedrig sind, während die Helme viel zu steil und schmal aufsteigen; die Kreuzblumen der grossen Vialen zeigen eine ganz merkwürdige Vermischung germanischer Kreuzblumenform mit den venetianischen Giebelblumen. Die Kriechblumen an denselben Vialen sind matt und ausdruckslos; die kleinen Nebenvialen tragen acht venetianische Blumen. Die Felder in den glatten Stücken der Tabernakelbaue sind füllungsartig behandelt. "Wenn nun, wie der Leser schon aus dieser oberflächlichen Beschreibung ersieht, der ganze Bau ungemein viel Stylwidriges enthält, wenn man der ganzen Anordnung, namentlich aber auch der Gliederbehandlung es auf den ersten Blick ansieht, dass die Schöpfer derselben das rechte Verständniss der Gothik verloren hatten und sich in mancher Beziehung schon den Einflüssen der Renaissance beugten, wenn demnach der architectonische Theil dieses Werkes eine strenge Kritik nicht aushält, so muss man allerdings auf der andern Seite gestehen, dass die Technik bewundernswert!) und der statuarische, sowie der rein ornamentale Theil der Arbeit höchst gelungen ist. Sämmtliches Blatt- und Gliedwerk ist ungemein sauber, accurat und elegant ausgeführt; selbst die geringfügigsten Details sind mit grosser Sorgfalt bearbeitet.
Die sämmtlichen Löwenköpfchen am Gewändfriess, 72 an der Zahl, sind bei gleicher Grösse in Bewegung und Ausdruck doch verschieden. Die Amoretten, sowie die Genien, welche die Wappen halten, sind mit äusserst glücklicher Naivetät componirt und mit vieler Correctheit in Bezug auf die Anatomie ausgeführt. Dabei sind sie so graciös bewegt, wie wir das bei ähnlichem Sujet kaum anderwärts gefunden haben; bei aller Freiheit ihrer Bewegungen aber überschreiten sie doch nicht das Gebiet ihrer rein ornamentalen Stellung.
Die vier Figuren in den Nischen, Stärke, Klugheit, Hoffnung und Mitleid zeichnen sich namentlich durch elegante Arbeit und feingefühlten Faltenwurf aus, welcher bei weitem ruhiger, einfacher und klarer ist, als an den fast zu lebhaft bewegten Engeln, welche das Medaillon im Giebelfeld halten, aber ebenfalls ausgezeichnet sind durch die anscheinend ganz ungezwungene Art, wie sie den für sie gegebenen Raum ausfüllen. Der

 

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