Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 257 259

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schnitt der Blätter sich schon etwas von dem Mittelalter lossagt und antikisirenden Bestrebungen nachgibt; der Leib der Tabernakel ist in drei Geschosse getheilt, die zwei untern sind ziemlich gleich; an jeder Seite befindet sich eine ziemlich halbkreisförmige Nische, deren Muschelwölbungen auf fast voller Ecksäule ruhen; die Capitäle und die Zwickel neben dem Bogen haben gothisches Blattwerk, über jeder Nische läuft auf einem wagerechten Leistchen eine Reihe kleiner Rundbogennischchen hin; die beiden Geschosse trennt ein wagerecht liegender runder Stab; auf dem zweiten Geschoss zieht sich als Hauptsims der Giebeldecksims herum; in jeder der Nischen, deren also zusammen gerade zwölf sind, steht eine Apostelstatuette; das oberste Geschoss bildet ein ganz offenes Tabernakel; freistehende Säulchen, verbunden durch Eselsrücken, tragen auf wagerechtem Sims Spitzhelme mit Kriech- und Kreuzblumen, letztere mit Engelsfiguren; die Seiten dieser Spitzhelme sind jedoch nicht durchbrochen; auf den Ecken des Hauptsimses am Fuss der Helme haben Vialen gestanden, von denen jedoch nur noch zwei erhalten sind, die sehr viele Anklänge an deutsche Gothik zeigen; in den zwei so gebildeten Tabernakeln stehen zwei Figuren, ein Paulus und eine Maria; letztere ist besser als Paulus und die Apostel, zeigt aber doch eine gewisse Unsicherheit, ja Plumpheit in der Behandlung. Wenn Giovanni Buon an diesem Denkmal mit gearbeitet haben sollte, was allerdings denkbar ist, da es jedenfalls nicht vor 1390 vollendet ward, so erklärt sich die mangelhafte Technik aus seiner Jugend , während man allerdings bei einigen der Figuren durch die sehnsüchtig schwärmerische Milde des Ausdrucks und die einfache Wahrheit der Bewegungen an spätere Arbeiten der Buon erinnert wird und überhaupt hier und da Spuren recht talentvoller Auffassung wahrnimmt.
5)  Die Kirche S. Aluise, 1388 von der Familie Venier gegründet, zeigt auch Spuren der Bonischen Schule, ebenso wie die aus dem Jahre 1389 herrührenden Theile von S. Procolo. Wir finden diese Spuren namentlich in der Gestaltung der Kreuzblume auf dem Portal, aus der das Brustbild eines bärtigen Mannes herauswächst und in den geschwungenen Formen des Giebels. Die Front ist in drei Theile durch Lisenen getheilt; über dem mittelsten Theil steht ein Halbkreisgiebel, über den Seitentheilen zwei an jenen sich anlehnende Viertelkreise, wir werden diesen und ähnlichen Giebelformen in der Frührenaissance sehr häufig begegnen.
6)   Aus dem Jahr 1390 datirt ein liegender Grabstein in der Kirche S. Maria dell' Orto, welcher die Gebeine des Bildhauers Giovanni de Sanctis bedeckt, der laut Inschrift der Verfertiger und Widmer eines Madonnenbrustbildes über der Sakristeithür dieser Kirche ist. Diese

 

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