Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 289 291

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die Sitze selbst aber und ihre Rückwände zeigen Renaissanceornamente in Holz, theils geschnitzt, theils eingelegt, über ihnen zieht sich ein zierliches Renaissancesinischen mit Friess, Zahnschnitten und Carniess hin, welches sich an den Backenwänden vorkröpft. Vorn auf diesen Kröpfen sitzen Vialen, welche einen Rundbogen einschliessen, in dem eine tiefe Muschel sitzt, so dass also jeder einzelne Stuhl oben nischenförmig abgeschlossen ist; über diesen Nischenmuscheln, welche genau die Renaissanceformen der Lombardi tragen, erheben sich venetianisch-gothische Giebelchen in der beliebten Zusammenstellung von convexen, concaven und geraden Linien, mit streng stylgetreuen Kriechblumen und eben solchem Blätterwerk im Giebelfeld; aus jeder Kreuzblume wächst das Brustbild eines Heiligen. Das Ungehörige einer solchen Vermischung mittelalterlicher und antikisirender Formen zeigt sich am auffälligsten an den Vialen; dennoch scheint der Verfertiger sein Werk für sehr gelungen gehalten zu haben, denn er hat in einer Inschrift der Nachwelt die Nachricht hinterlassen, dass er am 25. October 1465 dies Werk vollbracht; in dieser Inschrift nennt er sich Maestro Marco di Vizentia. Noch dürfen wir ein in derselben Kirche befindliches Pult nicht unerwähnt lassen, welches zu den schönsten Bronzearbeiten des Mittelalters gehört; auf einem von 3 sitzenden Löwen getragenen Plinthus erhebt sich eine vielfach in Absätzen profilirte und mit Knäufen besetzte, ziemlich gedrungene Säule, gekrönt durch einen im Auffliegen begriffenen Adler, der zwischen seinen Krallen einen kleinen Drachen hält; Flügel und Rücken des Adlers dienen als Pult. Das Ganze ist fast zu streng stylisirt, und zeigt namentlich in der Säule viel Aehnlichkeit mit den Bronzeleuchtern in Halberstadt.
Die 1390 begonnenen Bautheile von S. Giovanni e Paolo zeigen allerdings noch vielfach gothische Formen, doch sind dieselben schon so zu ihrem Nachtheile durch die Einflüsse der Renaissance verändert, dass sie eben so wenig hierher gehören, als das Presbiterium von San Zaccaria mit seinen Spitzbogen auf Renaissancesäulen. Ganz ähnlich dem Motive der Chorstühle an San Stefano findet man vielfach muschelgeschlossene Nischen mit geschweiftem venetianischen Giebel, so z. B. am Dom von Peruggia, wo auch die Kanzel an der Aussenseite ein ähnliches Gemisch zeigt; solche Nischen mit geschweiften Giebeln findet man sogar, eine ganz widersinnige Anordnung, in Reihen freistehend auf Mauern gesetzt und so als Zinnen dienend, Fig. 11, Taf. VI (über die venetianisch-gothischen Zinnen s. weiter unten). Hie und da brachte der Kampf zwischen venetianisch-gothischen und antikisirenden Formen allerdings auch sehr graciöse Werke zum Vorschein. Als Beispiel führen wir hier nur das aus schwachen Marmorplatten zusammengesetzte Tabernakel an,

 

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