Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 263 265

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12) Sansovino schreibt unter Anderem auch die Figuren über dem Portale der Scuola di S. Marco unserem Bartolomeo zu. Nun ist allerdings nicht zu verkennen, dass namentlich die schöne weibliche Figur mit einem Diadem auf dem Kopfe und zwei Kindern auf dem Arme, welche das Portal krönt, sehr viel Aehnliches mit seinen andern Arbeiten hat. Die Bewegung ist sehr gemessen, doch ohne nur im geringsten steif zu sein, das Haupt nach vorwärts gebeugt, die Verhältnisse am Unterkörper kurz, am Oberkörper etwas länger, namentlich der Hals ziemlich lang. Die Falten in der Hauptanordnung zwar einfach gedacht, aber sehr ins Detail ausgearbeitet, so dass sie, in der Nähe betrachtet, unruhig werden, aus der Ferne gesehen aber sehr graziös wirken.
In Bezug auf die Verhältnisse, die Bewegung und die Hauptanordnung der Falten haben die Figuren, welche den Giebel von der Scuola di S. Marco bekrönen, so viel Aehnliches mit dieser Statue, dass wir versucht sind, auch sie für Werke unseres Bart. Bon zu halten; da nun aber dieses Gebäude zwar kurz nach 1438 (s. S. 135) errichtet ward, 1485 aber abbrannte und 1490 wieder aufgebaut wurde, so ist zu vermuthen, dass diese Statuen für den ältern Bau gearbeitet und auch an demselben bereits aufgestellt waren, wofür namentlich der Umstand bürgt, dass die oberen in einer Weise beschädigt sind, wie es blos durch die Verwitterung und die Dünste des Seewassers nicht gut möglich ist; durch Brand aber sind gerade solche Beschädigungen sehr erklärlich. (Sie bestehen in Abschälung einzelner Theile, Porosität, wie sie durch Desoxidirung herbeigeführt wird etc.) 13) Zwischen 1430 und 1440 wurde auch die Abbazia della Misericordia nebst dazu gehöriger Scuola vollendet und Bartolomeo war Werkführer an diesem Baue. Die Scuola wurde nun allerdings später abgetragen und im Barockstyl gleich neben der Abtei wieder aufgebaut, das eine ihrer Portale aber steht noch an seiner ursprünglichen Stelle und bildet jetzt eine der malerischesten Ruinen Venedigs. Es besteht aus einer scheitrechten Thür, die in Nichts von dem allgemeinen Typus abweicht; über den Sturz erheben sich gewundene Säulchen auf Consolen, deren Capitäle ebenfalls Consolchen mit knieenden Figürchen tragen, hinter denen ein Spitzbogen aufsteigt; in dem dadurch begrenzten Felde steht eine ziemlich unorganische Gruppe von drei Blenden mit gewundenen Säulen, die einen geschwungenen Giebel mit Kriechblumen tragen, aus dessen Kreuzblume ein kleines Brustbild des Erlösers mit dem Reichsapfel herauswächst; die mittelste der drei Blenden enthält eine Madonna in der Kleidung der barmherzigen Schwestern , aber mit der Krone auf dem Haupte, das Christuskind auf dem Arme, welches seine Hand segnend über die kleinen Gestalten ausbreitet, welche zu den Füs-

 

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