Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 216 218

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Brüderschaft gemeinsam berathen wurden. Bei jedem Bau wurde dann eine Bauhütte etablirt, welche bestand, so lange der Bau dauerte; daher finden wir noch jetzt bei so vielen Palästen eine corte del tagliapietra, daher kennen wir so wenig Architectennamen aus dem Mittelalter, ja selbst bei grossen Bauten nur die Namen der Werkmeister; daher kann man auch von zwei Gebäuden. in denen dasselbe Motiv ohngefähr gleichzeitig zum ersten Male sich zeigt, das bedeutendere fast immer als das ältere annehmen. Und so würden wir auch hier alle die Wohnhäuser, bei denen durchbrochenes Maasswerk vorkommt, sämmtlich für jünger halten, als den Dogenpalast, selbst wenn nicht die Art und Weise der Durchbrechung selbst und manches bei der Arbeit etc. darauf hinwiese. Dieses „jünger" kann sich natürlich nur auf das Entwerfen beziehen, und so können wir denn annehmen, dass alle die hier folgenden Gebäude nach dem Jahr 1340 entstanden sind, oder vielmehr richtiger und genauer, nicht vor dem Jahr 1340; ob und wie viel sie später sind, das wissen wir nicht.
Unter allen diesen mit Maasswerk über den Fensterbogen versehenen Gebäuden können wir füglich diejenigen als die ältesten ansehen, welche die meiste Aehnlichkeit mit den entsprechenden Theilen des Dogenpalastes haben.
Warum wir gerade diese Gestaltung des Maasswerks (s. Fig. 61) für die erste halten? fragen hier vielleicht Diejenigen, welche der Theorie huldigen, dass der Spitzbogen aus verschlungenen Halbkreisen (Fig. 62) entstanden sei; ganz einfach, weil eben in Venedig der Schneppenbogen bei weitem früher auftritt, als der regelmässige Spitzbogen und gerade die Aufstellung von Kreisen über den Säulen zwischen den Scheiteln jedenfalls sehr natürlich und direct aus der Form der Bogen und den an derselben Stelle stehenden Scheiben sich entwickelt hat, während man für die Durchkreuzung der Rundbogen bei allen vorhergehenden Formen in Venedig kein organisches Vorbild findet und unsers Erachtens muss man unter zwei Theorien für die Entstehung einer architectonischen Form stets die natürlichere für die wahrere halten.
Palazzo Sagredo. Neben der Cá d'oro, an der Ecke eines Traghetto, p liegt ein Palast, den, so viel wir wissen, jetzt der Graf Agostino Sagredo, verdienstvoller Forscher auf dem Gebiete venetianisch-historischer Literatur, besitzt. Dieses Haus gehört, wie bereits oben erwähnt, der vorigen Periode an, und scheint um das Jahr 1340 seiner Vollendung nahe gewesen zu sein. Nur der Portego des zweiten und letzten Geschosses nämlich hat durchbrochenes Maasswerk, genau wie am Dogenpalast , nur mit einer Modification: Am Dogenpalast sind die Säulen sammt Capitäl und Fuss ebenso hoch, als die Bogen mit Maass-

 

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