Scuola Grande della Misericordia

 

Panorama Venedig
Die Scuola mit dem Palazzo da Lezze (links) und der Madonna dell'Orto (im Hintergrund)

Die Scuola Grande della Misericordia siedelte sich 1308 in Valverde im Sestiere von Cannaregio an. Nachdem der gotische Versammlungsbau, welcher sich am nach der Bruderschaft benannten, mit Backsteinen gepflasterten Platz befindet, im 16. Jahrhundert den Repräsentationsansprüchen nicht mehr genügte, beschloß man, südlich davon einen Neubau, die Scuola Nuova di Santa Maria della Misericordia, zu errichten. Cannaregio ist ein im Nordwesten der Stadt gelegenes Viertel, welches, wie von Elisabeth Crouzet-Pavan dargestellt, seit dem 13. Jahrhundert trockengelegt wurde und sich von den anderen Sestieri durch parallel geführte, geradlinige Kanäle und annähernd rechteckige Grundstücke strukturell grundlegend unterscheidet. Der Bauplatz der neuen Scuola befindet sich südlich der Sacca della Misericordia, einer natürlichen Bucht.

Palladio RIBA
Werkstatt Palladios: Zeichnung der vorgesehenen Verkleidung der
Scuola della Misericordia (Archiv des RIBA, Burlington, Devonshire)

Jacopo Sansovino wurde zum Baumeister berufen. Eine Scuola Grande dieser Dimensionen - der Hauptsaal mißt rund 21x49 Meter und ist damit nur wenig kleiner als der Saal des Großen Rats im sog. Dogenpalast - war selbst für den architektonischen Protagonisten der renovatio urbis unter dem Dogen Andrea Gritti und "bauliches Faktotum von Venedig" (Burckhardt) eine einzigartige Gelegenheit, sein Können zu demonstrieren. Während beispielsweise Michele Sanmicheli beim Palazzo Grimani die Fassade einem ganz traditionellen Palast nur vorblendete, suchte Sansovino beim Neubau der Misericordia eine Einheit von Innen- und Außenraum zu erreichen. Das ursprüngliche Projekt sah eine Einwölbung vor. In der Überarbeitung von 1545 wurde diese zugunsten einer flachen Decke aufgegeben. Was die Formen der Außenarchitektur angeht, so sind diese durch Zeichnungen der Werkstatt Palladios überliefert. Einzelne Motive der Hauptfassade, so der Oculus im Giebelfeld, lassen sich unter anderem auf Sant'Andrea in Mantua zurückführen, andere auf die Santa Casa in Loreto sowie Giuliano da Sangallos Fassadenentwurf für San Lorenzo in Florenz und Raffaels Cappella Chigi in Santa Maria del Popolo in Rom, die Vorbild für die Behandlung der Festons zwischen den Doppelsäulen waren. Dieser internationale Einfluß zeigt deutlich den kulturellen Anspruch, mit dem sich die Scuola Grande della Misericordia architektonisch an die Spitze der Scuole Grandi Venedigs setzen und besonders die Scuola Grande di San Rocco übertrumpfen wollte.

Aufgrund von Finanznöten wurde nur der Rohbau der Scuola errichtet. Der gewaltige, heute backsteinsichtige Bau dominiert das Umfeld und ist selbst vom Festland aus noch zu sehen. Die Weiternutzung der Scuola gestaltet sich als außerordentlich schwierig. Nach dem Einbau einer Sporthalle (Palestra Reyer) ist der Bau derzeit ohne Nutzung.

Literatur

 

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