Die Salute-Kirche im Jahre 2005
Nach dem Ende der Pestepidemie von 1630 schrieb die Regierung der Serenissima einen Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für eine Votivkirche am südöstlichen Ende des Sestiere von Dorsoduro aus. Der Senat wollte ursprünglich das das Gelände der Dogana (Zollbehörde) am äußersten östlichen Ende für den Bauplatz der Salute hernehmen; dies scheiterte nicht zulwtzt an den Finanzen. Man entschied sich daher für das angrenzende Kloster der Trinità, welches auf der Stadtansicht um 1500 noch deutlich zu erkennen ist. Unter den elf eingereichten Arbeiten des Wettbewerbs wählte eine Kommission aus Patriziern im Juni 1631 einen Entwurf zu einem Zentralbau von Baldassarre Longhena und zu einer Saalkirche von Antonio Smeraldi und Giambattista Rubertini aus. Smeraldis Entwurf war an Palladios Il Redentore orientiert, die ihrerseits ebenfalls eine Votivkirche zum Dank an das Ende einer Pest ist. Noch im selben Monat wurde zugunsten von Longhenas Entwurf entschieden. Es entstand die bedeutendste barocke Kirche Venedigs.
Nach Bassi ist das Konzept der Kirche "in forma di rotonda, opera di invenzione nuova, non mai fabbricatesene niuna a Venezia, opera molto degna e desiderata da molti e molti" (so Longhena über seinen Bau), von der Abbildung eines Zentralbaus in Hypnerotomachia Polifili von Francesco Colonna inspiriert. Der Grundriß zeigt einen grundsätzlich achteckigen Außenbau mit sechs hervortretenden Kapellen, die jedoch nicht die gesamte Breite der Achteckseiten einnehmen, sondern jeweils links und rechts einen Mauerstreifen lassen. Die in das Oktogon eingestellten acht massiven Pfeiler bilden einen Umgang und tragen die 41m hohe und 20m (60 venezianische Fuß) durchmessende zweischalige Kuppel aus Holz. Die südlichste Seite des Achtecks führt vermittels eines Bogens zu einem Presbyterium, das ebenfalls mit einer innen rund 40 Meter hohen Kuppel sowie zwei Konchen im Westen und Osten versehen ist. Hier war wohl Palladios Redentore Vorbild.
Den Pfeilern der Kuppel sind an der Innenseite Säulen auf hohen Piedestalen vorgeblendet. Über dem Gesims befindet sich ein erster Laufgang. Der Zentralraum wird im achtecktigen Tambour durch sechzehn Rundbogenfenster beleuchtet, die in Gruppen von jeweils zwei durch Pilaster getrennte Fenstern angeordnet sind. Im Außenbau vermitteln riesige Voluten zwischen den acht Ecken des Tambours und den Seitenwänden der Kapellen. Auf diesen Voluten sind überlebensgroße Figuren der Apostel auf Gesimsen angeordnet, die zusammen mit der Marienfigur, welche die auf Fernwirkung ausgelegte Laterne bekrönt, ikonographisch als Sterne in der Krone Mariens gedeutet werden. Große Thermenfenster belichten die nach außen zweigeschossigen Kapellen. Nur die beiden Kapellen am Canal Grande weisen im Untergeschoß mit jeweils drei von Pilastern separierten Nischen, welche Plastiken beherbergen, architektonisch reicher gestaltet.
Santa Maria della Salute wurde nach 1670 vollendet. 1868 wurden unter Tommaso Meduna mit Restaurierungsarbeiten begonnen, die bis 1882 andauerten. Das Fresko in der Laterne wurde dabei zerstört.
Drei Vorgaben in der Ausschreibung werden von Longhenas Kirche erfüllt: 1) vom Eingang der Kirche muß das ganze Gebäude erfaßbar sein 2) gleichmäßiges helles Licht 3) der Haupt-Altar sollte vom Eingang dominieren, die anderen Altäre sollten auf dem Wege zum Hauptaltar sukzessive ins Blickfeld kommen. Tasächlich ist beim Betreten der Kirche nur der Hauptaltar sichtbar, nicht aber das Presbyterium. Alle Gebälke und Gesimse der Kapellen und des Untergeschosses der Kuppel sind so angelegt, daß von der Mitte des Kupperaums die Kapellen, ähnlich wie bei Palladios Teatro Olimpico in Vicenza, die Kapellen perspektivisch homogen wahrnehmbar sind - eine "scenographic architecture", so Rudolf Wittkower, der mit dieser Eigenschaft des Raums den venezianischen vom römischen Barock differenziert: Borromini beispielsweise ziele in San Carlino auf "dynamic spacial effects" ab, und der römische Barock sei "intrinsically non-scenic".
Zum Canal Grande hin ist an einer der Seiten des Achtecks eine giebelbekrönte Fassade mit großem Portal vorgeblendet. Der Haupteingang und die beiden Seiteneingänge sind nur über eine vorgelagerte Plattform mit 16 Stufen zu erreichen. Der Vorplatz mit Bootsanlegestellt weist einen Belag in Trachyt mit eingelegten Kalksteinstreifen in geometrischen Mustern auf.
Östlich schließt das Seminario Patriarcale (vormals Konvent der Somasker, seit 1817 Priesterseminar und Pinacoteca Manfrediana), ebenfalls nach Entwurf von Baldassare Longhena, an. Die Formensprache ist allerdings, ganz im Gegensatz zur Salute, äußerst zurückhaltend. Mit dem Umbau der Dogana da Mar ab 1677, die allerdings bis ins 19. Jahrhundert unvollendet blieb, wurde das unmittelbare Umfeld repräsentativ umgestaltet.
Die einschließlich der Laterne 55 Meter hohe, zum Canal Grande hin vollständig mit weißem Kalkstein verkleidete Kirche prägt durch ihre Masse die Stadt in entscheidendem Maße. Ihre Fernwirkung vom Canal Grande aus wird heute durch den neugotischen, um 1900 nach Entwurf von Edoardo Trigomi Mattei entstandenen Palazzo Genovese beeinträchtigt.
Die Madonna della Salute (oder "von San Tito"), eine auch als Mesopanditissa bezeichnete byzantinische Ikone des 13. Jh., wurde am 21. November 1670 von Candia in die Kirche überführt 1. Seitdem wird an diesem Tag die "Festa della Salute" begangen. Der Hauptaltar mit Statuen wurde von Longhena unter Mitwirkung des flämischen Bildhauers Giusto Le Court vor 1674 geschaffen. Unter den Kunstwerken, die Santa Maria della Salute birgt, ist das um 1511 entstandene Altarbild Der Hl. Markus umgeben von den Heiligen Cosmas und Damian, Sebastian und Rochus hervorzuheben. Weitere Gemälde befinden sich in der Sakristei. Die drei Außenkapellen an der westlichen Seite bergen Werke von Luca Giordano, Marienthemen betreffend: Darbringung im Tempel (1674), Mariä Himmelfahrt (1667), Geburt Mariens (1674). In den östlichen Kapellen zwei Bilder von Pietro Liberi: Verkündigung (1674) und Hl. Antonius (1665) sowie Das Pfingstwunder von Tizian (1546).
Analog zur Festa del Redentor im Juli wird am 21. November jeden Jahres die Festa della Salute begangen. Hierzu wird eine Pontonbrücke über den Canal Grande zwischen Santa Maria del Giglio und San Gregorio errichtet, und der Jungfrau die Ehre erwiesen. Der Patriarch hält um 10 Uhr eine Messe, weitere Gottesdienste folgen stündlich. Traditionell wird castradina (Hammelkeule) als Festgericht zubereitet.
Bassi, Elena: Architettura del Sei e Settecento a Venezia, pp. 90-102
Hopkins, Andrew: Santa Maria della Salute : architecture and ceremony in Baroque Venice, Cambridge 2000
Wittkower, Rudolf: S. Maria della Salute: scenographic architecture and the Venetian Baroque, in: SAH 1.1958 pp. 3-10