palaciusin der Jacopo de'Barbari zugeschriebenen Stadtansicht "Venetie MD" um 1500
Im Gegensatz zu den Werken Andrea Palladios in der Lagunenstadt fand Goethe anscheinend keinen Zugang zur gotischen Architektur des Dogenpalasts, beschreibt er doch in seiner "Italienischen Reise" zwar minutiös eine Gerichtsverhandlung im Palast, erwähnt aber die Architektur desselben mit keinem Wort. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts war es John Ruskin, der erstmals eine detaillierte Beschreibung und architektonische Kritik des Palasts einschließlich der Ikonographie und der Innendekoration lieferte - und wohl auch als erster die kunstgeschichtliche Bedeutung erfaßte. In seinen Stones of Venice
widmete er dem Bau, wie auch Torcello und dem Markusdom, ein ganzes Kapitel.
Es kann hier freilich nur ein kurzer Abriß der Geschichte des sogenannten Dogenpalasts (Palazzo Comunale) dargestellt werden1. Ein erstes "Castello Ducale", errichtet unter dem Dogen Angelo Partecipazio (Partecipazzo) im 9. Jahrhundert, bestand noch aus Holz. 976 brannte dieser Bau beim Aufstand gegen den Dogen Candiano ab; unter Pietro Orseolo wurde eine neue Festung mit drei Türmen und Mauerring samt umschließendem Kanal errichtet. Der Befestigungsgedanke war zu dieser Zeit also durchaus noch prägend. 1172-78 ließ der Doge Sebastiano Ziani in seiner kurzen Regierungszeit die Festung abermals umbauen. Trotz des Beibehaltens der Türme wurde der Festungscharakter zurückgedrängt, und erstmals wurde ein Portikus samt Loggia errichtet.
Das Anwachsen des Maggior Consiglio (Großer Rat) auf über tausend Mitglieder machte einen Umbau des Palasts Zianis notwendig. 1292 wurde beschlossen, den zum Rio di Palazzo im Osten gelegenen Saal neu zu errichten, und 1301-1309 entstand dort der Sala dello Scrutino
, der allerdings beim Brand 1577 vernichtet wurde. 1340 plante man zunächst, lediglich einen neuen Ratssaal zu errichten, doch 1342 entschloß man sich zum Neubau. Einer der proti, also Baumeister, dieses nicht mehr der byzantinischen Formensprache verpflichteten Neubaus war Pietro Baseggio. Auch ein magister Henricus
findet Erwähnung. Nach Baseggios Tod 1354 wurde der fenissimo maistro taiapietra
übernahm Filippo Calendario dessen Aufgaben - eine Persönlichkeit, die sich allerdings durch historische Dokumente nur schwer fassen läßt 2. Bereits ein Jahr später wurde Calendario wegen seiner Beteiligung an der Verschwörung des Dogen Marino Falier an der Piazzetta erhängt, und schon im 15. Jahrhundert bildeten sich Legenden um ihn. Der Bau kam zum Erliegen und wurde erst 1362 wieder aufgenommen. An die östliche Stirnseite des Sala del Maggior Consiglio malte Guariento 1365 das "Paradies", doch erst am 30. Juli 1419 fand eine erste Versammlung im Saal des Großen Rates statt.
Nachdem der südliche Teil zur Lagune vollendet war, wurde 1422 der Weiterbau des Palasts an der Piazzetta-Seite beschlossen. Zwei Jahre später wurden die letzten Reste des unter Ziani errichteten Vorgängerbaus abgetragen. Während die Fassade zur Piazzetta in ihrer formalen Ausprägung mit Ausnahme des Balkons wesentlich der Südseite folgt, emanzipiert sich der nördliche Abschluß zu San Marco und zum Markusplatz in Form eines monumentalen Portals, der Porta della Carta
, erheblich von der restlichen Außenarchitektur. Aufgrund der Vergoldung hieß das Portal ursprünglich "Porta Aurea"; es führt in den Arco Foscari und in der Verlängerung auf die Scala dei Giganti
, der Krönungstreppe der Dogen. Am 10. November 1438 wird der Vertrag mit Giovanni und Bartolomeo Buon über die Porta della Carta unterzeichnet, ab 1439 wird mit dem Bau begonnen. Die Bildhauer erhalten 1700 Dukaten. Das Portal war 1441 mit der Aufstellung der Justitia-Venetia-Figur auf der Spitze weitgehend fertig, doch fehlten auch 1442 noch Teile der Fialen sowie die drei Engel in Flachrelief, welche den tondo mit der Büste des Hl. Markus umrahmen. Die Investiturfigur des Dogen Francesco Foscari unterhalb des Maßwerkfensters ist eine Rekonstruktion aus dem späten 19. Jahrhundert. Das Original wurde von napoleonischen Truppen vernichtet.
Südseite
Über einer 5,76m hohen Arkadenzone mit 17 spitzen Bogen erhebt sich eine weitere Arkadenreihe mit der doppelten Anzahl Kielbogen mit Vierpässen in den Bogenzwickeln. Das abschließende Geschoß wird von einer Wandfläche gebildet, deren Höhe der Summe der beiden Arkadenreihen entspricht. Die Wand ist neben kleineren Oculi von sieben großformatigen spitzbogigen Fenstern durchbrochen, deren mittleres durch einen Balkon akzentuiert ist. Maßwerk findet sich ausschließlich an beiden östlichen Fenstern zum Rio di Palazzo, die zudem vertikal leicht nach unten versetzt sind. Zwar zeigt der sogenannte Barbaro-Plan
(s.o.), daß vor dem Brand 1577 auch die anderen Fenster über eine analoge Maßwerkdekoration verfügt hatten, doch war bis zur Wiederentdeckung der Säulenbasen des einstmals vorhandenen Maßwerks durch John Ruskin auch eine gegenteilige Auffassung unter den Gelehrten vertreten.
Wie bei den gotischen Privatpalästen liegt auch beim Dogenpalast der Komposition der unteren Fassadenzone das geometrische Prinzip der Quadratur, basierend auf einem Grundmaß von neun venezianischen Fuß, zugrunde 3. Die Säulen der kreuzgratgewölbten Arkaden im Erdgeschoß besitzen keine sichtbaren Basen. Nach dem Brand von 1577 waren bis zu den Restaurierungskampagnen des 19. Jahrhunderts die ersten fünf Arkaden nahe der Ponte della Paglia an der Südostecke vermauert gewesen. Ihre Entfernung zog Kritik von Camillo Boito auf sich. Die Brüstungen des Obergeschosses sind in die Säulen eingedübelt. Neben Dreipaßornamenten in den Zwickeln besitzen die Vierpässe an den Enden der Zirkelschläge dekorative Steinkugeln (palle
- ein bei vielen venezianischen Palästen der Gotik wie dem Palazzo Bernardo übernommenes, aber heute fast vollständig verlorenes Motiv). Das die Wand des zweiten Obergeschosses prägende ornamentale Rautenmuster in rötlichem und weißem Kalkstein wurde auch später bei Privatgebäuden wie dem Palazzo Cappello in Form von Fugenmalerei (regalzier
) nachgeahmt.
Die in Venedig seit jeher stark engagierte deutsche Bauforschung konnte in den 1990er Jahren anläßlich von Konservierungsmaßnahmen an der Fassade eine intensive Polychromie in Blau und Gold aus der Erbauungszeit nachweisen und auf dem Papier rekonstruieren4.
Westseite
Die Westfassade des Dogenpalastes zur Piazzetta folgt wesentlich der Südseite; allerdings ist durch die Verkröpfung der waagerechten Architekturteile mit den rahmenden Pilastern des Mittelbalkons der noch an der Südseite vorhandene Vertikalismus hier gemildert. Die Schnittstelle der trangenden Längswand des Sala del Maggior Consiglio
mit der Westfassade ist durch eine Verstärkung der entsprechenden Säule im Obergeschoß und durch die Ausfüllung des Vierpasses mit einer Justitia-Venetia-Figur sichtbar gemacht (siehe unter Bilder). Auffallend ist das Fehlen von Basen bei den Säulen im Erdgeschoß. Ob dieser Zustand bereits zur Erbauungszeit gegeben war, läßt sich aufgrund der durchgreifenden Restaurierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts einschließlich des Austauschs der Säulen wie auch der Kalksteinplatten im Boden nicht mehr nachvollziehen. Eine an der Südseite durchgeführte Stratigraphie des Bodens im Dezember 2004 konnte hierzu keinen weiteren Aufschluß bringen.
Eintrittspreise: 12,00 Euro. ermäßigt: 6,50 Euro.
Öffnungszeiten: 9-19 Uhr; vom 1. November bis 31. März 9-17 Uhr