Camillo Boito

 

Camillo Boito wurde 1836, also rund eine Generation nach Ruskin und Selvatico, in Rom geboren. Arrigo Boito (eigentlich Enrico, 1842 - 1918), Komponist der Oper Mefistofele, war sein Bruder. Die Familie zog bald nach Venedig um, später nach Mailand. In Venedig wurde Boito Schüler des Marchese Pietro Selvatico Estense und von diesem mit 14 Jahren an die Akademie geholt. Es ist überliefert, daß Boito auch die Architekturtheoretiker John Ruskin und Augustus Welby Pugin las. Mit 18 Jahren wurde Boito Assistenzprofessor an der Akademie. Die Kirche SS. Maria e Donato auf Murano restaurierte er im Jahre 1858, konnte dort seine Vorstellungen, besonders die Westfassade betreffend, nur teilweise umsetzen, siedelte er doch nach der Trennung Venetiens von der Lombardei ein Jahr später nach Mailand über. Immerhin wurde unter seiner Regie am Dom von Murano, uno dei più belli e importanti edifici d'Italia - eines der schönsten und wichtigsten Gebäude Italiens 1, vor der Restaurierung eine Dokumentation angefertigt. 1860 wurde Boito Inhaber des Lehrstuhls für Architektur an der Mailänder Brera. 1865-67 hatte er den Lehrstuhl für Kunstgeschichte und Restaurierung am Politecnico in Mailand inne. Architektur war nach Boito arte di popolo 2, eine von Nationalcharakter und Entstehungszeit maßgeblich geprägte Kunst des Volkes.
Zu seinen bedeutendsten Schriften zur Theorie der Denkmalpflege zählt das 1893 in Dialogform verfaßte Werk I restauri in architettura. Dialogo primo, in Questioni pratiche di Belle Arti, in der ein Wandel Boitos denkmalpflegerischer Auffassung weg von neomedievalen Schöpfungen wie dem von ihm selbst verantworteten Umbau des Palazzo Franchetti und hin zum Prinzip "Konservieren statt restaurieren" nach Ruskinscher Prägung deutlich wird. Daneben hinterließ er ein umfangreiches schriftstellerisches Werk, darunter die Erzählung "Senso". Boito starb 1914 in Mailand.
Das Urteil der Nachwelt über Camillo Boito war gespalten. So wurde er in Alfredo Melanis Werk Architettura italiana antica e moderna (Milano 21930) als architetto mediocre a Milano, Gallarete, Padova, Venezia, scrittore superficiale e oratore arguto bezeichnet. Eine Wiederentdeckung erfuhr Boito erst in den 1970er Jahren.

Anmerkungen

1 Boito, Camillo: Relazione sul progetto di restauro per la Basilica di Santa Maria e Donato in Murano, in: Giornale dell'Ingegnere IX 1861 (pp. 76-87), p. 76
2 L'architettura della nuova Italia, in: Nuova Antologia XIX 1872, p. 769s

Sekundärliteratur

 

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