Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 77 79

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verleitet worden, sie für Theile des ursprünglichen Baues zu halten; wie es denn auch wirklich sehr schwer hält, ein Urtheil zu fällen darüber, ob die Lünetten ursprünglich so ausgefüllt gewesen seien, wie jetzt diese Giebel, oder ob diese Ausfüllung erst bei Erbauung der Vorhallen an Süd- und Nordseite und der wahrscheinlich damit gleichzeitigen Aufbauung der blinden Lünetten an der Hauptfront entworfen worden ist.
Von sämmtlichen noch an ihrer ursprünglichen Stelle stehenden Lünetten sind blos die der Querarme und die über dem Hauptportal noch interessant; die andern sind nämlich ganz ihrer Eintheilung und Ornamente beraubt worden, um die auf der Umfassungsmauer stehenden blinden Lünetten zu verzieren. Die an den Querarmen sind in resp. 3, 4 u. 5 Rundbogenfenster getheilt. Die grosse Lünette über dem Hauptportale aber ist durch vier Säulen in fünf gleich breite Theile getheilt; die Säulen selbst sind gleich so vielen andern an diesem Bau aus dem 3. oder 4. Jahrhundert, die Kapitäle aus dem 9. oder 10., die Deckplatten aber aus dem letzten Dritttheil des 11. Jahrhunderts, also jedenfalls während des ursprünglichen Baues gearbeitet; sind sie aber für den Platz bestimmt gewesen, wo sie jetzt stehen? Ja, das geht aus dem Verbande des Bogens hervor, der allerdings seiner Bekleidung nach später, vielleicht von 1205 ist, seiner Construction nach aber doch jedenfalls der Bauperiode von 1043 —1071 angehört, da er mit zum constructiven Gerippe des ganzen Baues gehört. In den Kämpfer dieses Bogens nun sind die Deckplatten und Kapitäle der beiden Halbsäulen an der Ecke jener Lünette hinein´verbunden und zwar mit Ankern, die lange Döbelspitzen nach oben und unten haben. Eine so genaue Einfügung wäre bei einem Bogen von solcher Spannung später nicht gut möglich gewesen; sie muss gleich bei seiner Erbauung mit geschehen sein. Folglich sind die Ecksäulen und daher auch die ihnen ganz gleichen und in gleicher Höhe mit ihnen stehenden 4 Mittelsäulen noch vom ursprünglichen Bau. Die Deckplatten ihrer Kapitäle schliessen in gleicher Höhe mit dem Kämpfergesims der Lünette; wahrscheinlich war also diese Lünette ursprünglich gerade so oder wenigstens ähnlich ausgefüllt, wie jetzt noch die beiden blinden Lünettengiebel auf der Mittagsseite, nur insofern anders, als eben dort von der Verzierung eine Bogenblende, hier von der eines Fensters die Rede war. Die vier Säulen nämlich trugen mit den zwei Ecksäulen 5 Rundbogen, über denen ein schmaler feiner Gurtsims sich hinzog, auf diesem stand eine Reihe kleiner Rundbogen, darüber eine Reihe durch Säulchen getrennter scheitrechter Oeffnungen, deren je zwei einer der untersten Bogenöffnungen entsprechen und dann eine Reihe noch kleinerer.
Diese Anordnung ist eigentümlich und frappirt auf den ersten

 

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