Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 75 77

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einer solchen Lettnerwand oder mindestens einer Brüstung verlangt, da es bei Anlegung der Kanzel an dem nördlichen Eckpfeiler dieses Kreuzarms nicht thunlich war, eine Freitreppe vor die ganze Breite des Mittelschiffs zu legen; was nun die Crypta anbelangt, so ist dieselbe sehr interessant, da sie zu den ältesten bis jetzt bekannten Crypten gehört, wenn wir auch nicht mit Selvatico der Meinung sind, dass sie die älteste vorhandene sei. Dieser in Bezug auf die Kunstarchäologie Venedigs so verdienstvolle Mann glaubt nämlich annehmen zu müssen, dass sie noch von dem Baue von 976 herrühre, das scheint uns aber durch den innigen Zusammenhang ihrer Grundrissform mit dem Ueberbau nicht gut möglich zu sein. Immer bleibt sie eine der ältesten in Italien, die drittälteste der bekannten Crypten. Blos die von Torcello vom Jahre 1008 und die von S. Miniato al Monte von 1013 gehen ihr voran; die nächstälteste ist dann die unter der Abteikirche von Monte casino von 1066.
Die Crypta von S. Marco liegt unter dem östlichen Kreuzarm und seinen Seitenschiffen und ist in Kreuzform angelegt. Augenscheinlich durch die ungenügende Vertrautheit mit solchen unterirdischen Bauten und die dadurch hervorgebrachte Aengstlichkeit ist die Anlegung der unnöthig dicken Pfeiler und Mauern hervorgerufen, die ihr Gewölbe tragen, noch darin unterstützt von 60 theils an sie angelehnten, theils freistehenden Säulen von griechischem Marmor, ganz ohne Basis, durch enge Gurtbogen verbunden. Die ganze Formgebung ist sehr einfach und Ornamente sind ganz vermieden. In der Mitte, ziemlich genau unter dem obern Hauptaltar, steht ein Altar, welcher bis zu Vollendung des obern Baues die Gebeine des Heiligen Marcus einschlösse dieser Altar war von einer Marmorbrüstung umgeben und hinter ihm bildeten durchbrochene Steinplatten eine Art Lettner. In den Kreuzarmen stehen zwei andere einfache Altäre. Erleuchtet wurde die Crypta durch fünf Fenster und 14 Oberlichtöffnungen längs des obern Lettners. Da der Fussboden dieser Crypta unter dem Meeresspiegel liegt, so drang mit der Zeit, wahrscheinlich durch nicht gehörige Conservirung der Mauern, Wasser in dieselbe ein; leider griff man das Uebel nicht bei der Wurzel an, sondern nahm zu dem leidigen Auskunftsmittel seine Zuflucht, den Zugang der Crypta, in der damals das Wasser mit der Ebbe und Fluth fiel und stieg, durchschnittlich aber etwa 4 Fuss hoch stand, zu vermauern. Dies geschah 1580; erst vor wenigen Jahren wurde sie wieder geöffnet und jetzt ist Aussicht, dass dem Uebel Abhülfe geschieht.
Eine andere Eigenthümlichkeit des Grundrisses von S. Marco besteht in dem Umstände, dass die Kuppeln der Querarme etwas kleiner sind, als die des Langarms und als der Durchmesser der breiten Gurte, die zwischen ihnen und der Mittelkuppel liegen und originell ist die Art

 

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