Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 74 76

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nopel und dem von San Vitale in Ravenna, dass von einem Nachahmen einer dieser beiden Kirchen bei Entwerfung des Plans zu S. Marco durchaus nicht die Rede sein kann. Ebenso wenig stichhaltig ist die Vermuthung, die Engelhardt in Cassel aufgestellt hat, dass dieser Grundriss aus einer Nachahmung der Anlagen römischer Thermen hervorgegangen sei.1) Allerdings sehen wir hier dieselben grossen Kuppeln, denselben Säulen-reichthum, ja sogar dieselben Exedern wiederkehren, die wir an den Thermen finden; aber die Kreuzform, die drei Schiffe, die Halbkreisgiebel am Aeussern, wo finden wir die an den Thermen? Die Kreuzgewölbe, die Abschliessung in einzelne Räume, das bedeutende Vorherrschen der Kreis- und Halbkreisform im Grundrisse, wo finden wir dies in S. Marco? Die Sophienkirche in Constantinopel hat jedenfalls bei weitem mehr Aehnlichkeit mit den Thermen als S. Marco. Eine gewisse Aehnlichkeit wird natürlich allemal zwischen den Anlagen grosser weiter Räume stattfinden, die mit Kuppeln überdeckt sind, da diese Ueberdeckung eine Eintheilung solcher Räume in quadratische oder poligone Einzelräume verlangt, die durch grosse Gurtbogen mit einander verbunden sind; daraus aber ist doch nicht immer auf eine Nachahmung einer solchen Anlage in der andern zu schliessen.
Näher beschreibend auf den Grundriss einzugehen, halten wir bei dem Vorliegen desselben in Fig. 45 für unnöthig und wird daher nur auf die. besondern Eigenthümlichkeiten desselben kurz hinzuweisen sein.
Während die Mittelapsis aus dem Gebäude herausragt, sind die Seitenapsiden hineingelegt und zu diesem Behufe die Seitenschiffe um die halbe Breite des Mittelschiffs verkürzt, dadurch aber der östliche Kreuzarm an seinen Seiten halb geschlossen, ähnlich wie die hohen Chöre gothischer Kirchen, aber aus anderm Grunde. Nach der Kreuzung zu ist dieser Kreuzarm ebenfalls geschlossen und zwar durch einen lettnerähnlichen Bau, der in der Disposition sehr an die Cancellen im Dom von Toreello erinnert. Dieser Lettnerbau gehört seiner jetzigen Form und Technik nach nicht der in Rede stehenden Periode an, der Idee nach aber jedenfalls und vielleicht auch noch in einzelnen Theilen der Ausführung nach; darauf kommen wir weiter unten zurück; dass er aber ursprünglich gleich mit projectirt war, geht erstens aus dem Vorhandensein einer solchen Anlage in Torcello und andern Kirchenbauten jener Zeit, zweitens aber auch daraus hervor, dass unter dem durch ihn abgeschlossenen Theile der Kirche sich eine Crypta befindet, deren Anlegung die bedeutende Erhöhung des Fussbodens im östlichen Kreuzarm gegen den in der Kreuzung bedingte, welche wiederum die Anlage
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1) S. Försters allgemeine Bauzeitung. Wien 1844. Heft 4 — 5.

 

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