Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 71 73

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sogleich nach seiner Thronbesteigung den Bau begann, die Ausführung desselben also sogleich nach dem Fassen der Idee ins Werk gesetzt wurde, zu einer solchen Vorbereitung eines fremden Architekten also keine Zeit blieb. Viertens ist es sehr die Frage, ob so nahe dem Verfall des oströmischen Reichs Constantinopel noch künstlerische Kräfte der Art besass, wie sie zu solchem Baue nöthig sein mussten. Fünftens zeigt die ganze Anordnung und Eintheilung der Kirche bei weitem mehr Annäherung an die gleichzeitigen romanischen Bauten Oberitaliens, als an die byzantinischen Bauten in Constantinopel und selbst auf Morea. obgleich Einzelnes in der Anordnung und Vieles in der Durchführung an die byzantinischen Kirchen in Athen erinnert. Dies aber lässt sich ebenso gut aus dem seit langer Zeit geübten indirecten Einfluss byzantinischer Kunst auf Venedig erklären, als aus der directen Berufung eines byzantinischen Künstlers zu dem in Rede stehenden Baue; denn alle die byzantischen Momente, die sich in San Marco finden, finden sich schon an den Bauten in Torcello und Murano und anderen in Venedig selbst und zwar dort fast reiner byzantinisch, weniger mit romanischen Elementen vermischt als in S. Marco. Wir haben es hier jedenfalls mit dem Werke eines Mannes zu thun, der sein Talent in Venedig selbst gebildet hatte, auf den der damalige Zustand byzantinischer Kunst weniger Einfluss übte, als der um anderthalb Jahrhunderte früher, aus dessen Influirung, vereint mit andern Einflüssen, auf die früheren Bauten Venedigs jene von uns soeben betrachtete Vermischung romanischer und byzantinischer Formen hervorgegangen war, die zwischen der spätromanischen und byzantinischen stehend, doch von beiden wesentlich unterschieden ist durch die blos in Venedig mögliche, aber dort auch unvermeidliche Umgestaltung nach den ganz eigenthümlichen nationalen und localen Verhältnissen der Lagunenstadt. Mit mehr Wahrscheinlichkeit, als für den leitenden Architekten könnte man für untergeordnete Arbeiten eine Zuziehung griechischer Kräfte annehmen, obgleich auch hier eine Notwendigkeit dazu nicht vorliegt, denn da man in Oberitalien selbst während der Longobafdenherrschaft eingelegte Arbeit in Holz und Stein fertigte, da man daselbst nach der Versicherung des Anastasius Bibliothecarius im 10. Jahrhundert bunte Fenster malte, da im 11. Jahrhundert ein Italiener Uberto (wenn es nicht vielleicht ein Deutscher, Hubert, war?) in Treviso Mosaikboden ausführte, da vor der Erbauung der Marcuskirche wenigstens nach Gallicioli*) in Venedig bereits 90 Kirchen erbaut wurden, so mussten die Techniker Venedigs eigentlich, vorbereitet durch so viele zum Theil ziemlich schwierige Baue,
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*) S. dessen Memorie Venete. III. Band.

 

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