Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 72 74

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auch ohne fremde Beihülfe unter der Leitung eines tüchtigen Architekten mit diesem Bau zu Stande kommen können.
Doch das Weiterführen solcher Conjecturen hiesse nur einen unnützen Streit noch weiter ausspinnen, der denn doch vor Auffindung betr. Documente keinen genügenden Abschluss erhalten kann. Gehen wir daher zu Betrachtung des Werkes selbst, so weit es der Zeit bis 1071 angehört, über.
Was nun zuvörderst den Grundriss betrifft, so sind die in Fig. 45 schwarz dargestellten Theile aus der in Rede stehenden Bauperiode, die schraffirten hingegen neuer. Wenn nun von diesen letzteren namentlich die Vorhalle, die sich an die West- und Nordseite der Kirche anlegt, wie Viele behaupten, noch zu Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts erbaut worden sein sollte, so lag sie doch jedenfalls nicht in dem ursprünglichen Plane des Architekten der Kirche, ja wir sehen uns fast zu der Behauptung versucht, dass nur der vor dem westlichen Theil der drei Schiffe liegende Theil derselben mit seinen drei Exedern, (so weit er in Fig. 45 dunkler schraffirt ist), aus dem 11. oder 12. Jahrhundert stammt, die Seitentheile dieser Vorhalle aber, obgleich den Formen der mittleren ziemlich genau nachgebildet, erst zu Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts entstanden; abgesehen nämlich davon, dass sich an diesen Theilen geschweifte Bogen finden, die dem 11. Jahrhundert unmöglich angehören können, und auf die auch wir später zurückkommen werden, so hat der englische Kunstarchäolog Parlar neuerdings in einem Manuscript der Bibliothek zu Oxford1), welches aus dem Ende des 14. Jahrhunderts stammt, eine Handzeichnung entdeckt, welche eine Ansicht der Piazzetta mit dem Dogenpalast, den beiden Säulen und dem Dom zu S. Marcus enthält.2) Auf dieser Ansicht nun ist die Vorhalle blos dreitheilig dargestellt und hat blos die Breite des Langschiffbaues.
Die alten Theile des Grundrisses nun stellen die vollständige auch äusserlich sichtbare Kreuzform dar und zwar zeigen sie einen dreischiffigen Langbau, von einem ebenfalls dreischiffigen Querbau durchschnitten, offenbar ein romanisches Element, die Querarme haben dieselbe Länge wie der Stamm des Kreuzes, ein byzantinisches Element; die Hauptkuppel ist nur um weniges grösser als die Seitenkuppeln, der Langbau schliesst in drei den Langschiffen gerade gegenüberstehenden
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1) Ms. 261. Bibl. Boldléene. S. übr. Mr. de Caumonts Bulletin monumental, 3. Serie, Tome 2, 22 Vol de la Collection Nr. 1, p. 66 ff.
2) Wir haben Einleitungen getroffen, eine treue Copie dieser Ansicht uns zu verschaffen, und werden, wenn wir es erlangen, sie bei der das 14. Jahrhundert betr. Textstelle unsern Lesern vorführen.

 

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