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mindestens zwei Architekten annehmen zu müssen, einen für den Grundriss und einen für die Façade, dem kann ich aber nicht ganz beipflichten, denn rechnen wir bei den Façaden alle späteren Zuthaten hinweg, und deren sind, wie wir sehen werden, sehr viele, so zeigt sich denn doch in den Grundformen ein organischer Zusammenhang zwischen Innerem und Aeusserem. In der Ausschmückung allerdings weichen sie wesentlich von einander ab, denn wie es scheint ist es dem uns leider bis jetzt noch unbekannten Architekten des Marcusdoms hauptsächlich darum zu thun gewesen, das Innere seines geistigen Kindes rein zu erhalten von unpassender Ueberladung: wie wir bei der nähern Beschreibung sehen werden, herrscht im Innern auch in den Details eine gewisse Harmonie, während diese im Aeussern blos in den Hauptformen beruht; unter obschwebenden Verhältnissen ein sehr richtiges Verfahren, denn die Aussenseite betrachtet man doch gewöhnlich aus grösserem Abstand, wo dann das Unharmonische einzelner Details gegen die Hauptformen verschwindet.
Da nun alle Nachforschungen über den Namen des oder der Architekten von
S. Marco umsonst gewesen, hat man sich mit grossem Eifer über die Heimath desselben gestritten, indem die Meisten annahmen, er müsse aus Constantinopel verschrieben worden sein. Aber in dieser Beziehung müssen wir unbedingt der Ansicht
Cicognaras und
Selvaticos sein. Die Gründe dafür liegen ziemlich klar auf der Hand. Erstens ist in den Chroniken und Documenten nichts von einer solchen Verschreibung erwähnt, dagegen könnte man allerdings anführen, es ist auch nichts von der Verwendung eines einheimischen Künstlers erwähnt; aber man wird nur sehr selten etwas über die Verwendung einheimischer Künstler und Gewerke in Chroniken oder andern historischen Nachrichten jener Zeit erwähnt finden, während die Berufung Fremder in den Ort, die Berufung Einheimischer nach auswärts in der Regel erwähnt ist. Zweitens fehlte es in Venedig, wie die vorher betrachteten Bauten beweisen, durchaus nicht an Architekten und Werkleuten. Drittens zeigen die ursprünglichen Theile des Marcusbaues so viele Aehnlichkeit, namentlich in den während des Baues neu angefertigten Theilen, z. B. den Gurtsimsen, schmalen Einfassungen, in der Technik der Bogen, in der Verwendung der Säulen mit den vorher besprochenen venetianischen Bauten des 11. Jahrhunderts, dass man, wenn man selbst einen constantinopolitanischen oder griechischen Architekten annehmen will, wenigstens zugestehen müsste, dass derselbe einige Jahre vorher in Venedig zugebracht und sich mit dem Bauwesen der Venetianer vertraut gemacht habe. Eine solche Annahme aber zerfällt in nichts bei der Betrachtung der Thatsache, dass Domenico Contarini