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freier Bewegung sich dennoch den Hauptformen der Giebel ganz ornamental unterordnen. Wenn man diese Kriechblumen betrachtet, will es einem fast unmöglich bedünken, dass sie aus Stein gearbeitet seien, so locker und frei sind sie gearbeitet und dennoch folgen sie einem Gesetze, fügen sich der Hauptanordnung in so schöner freiwilliger Unterordnung, dass man sich kaum klar wird, was man an ihnen zumeist bewundern muss, ob die meisterhafte Technik, die klug berechnende Architectonik, die geniale Composition der Figuren, die feine und doch naturgemässe Stylisirung des Blattwerks, die Mannichfaltigkeit in der Schwingung der einzelnen Blatttheile oder die, trotz all dieser Mannichfaltigkeit doch nicht verletzte Harmonie. Bei genauer Prüfung dieser schönsten aller im Mittelalter geschaffenen Giebelzierden wird man fast überzeugt, dass kein anderer als Bartolomeo Bon, der geniale Schöpfer der Porta della Charta, dieselben entworfen und ausgeführt haben kann. Der Grundtypus dieser Kriechblumen, welche in der Hauptbewegung allerdings denselben Gesetzen folgen, wie alle, auch die deutschen, gothischen Giebelkriechblumen, aber in bei weitem freierer Weise und im Blattwerk sich viel eher auf den Akanthus, als auf das Eichenlaub zurückführen lassen, scheint allerdings nicht von den Buon herzurühren, denn wir finden ähnliche schon an den Werken der Masegne; die Idee aber, Figuren aus denselben emporwachsen zu lassen und die Anwendung dieser Idee in so verschiedener und genialer Weise verdankt die Kunstwelt, wie es scheint, dem Bartolomeo Bon; nur an seinen Werken und an denen seiner Schule haben wir diese belebten Kriechblumen bemerkt; ebenso scheint er sich auch wesentlich mit der Ausbildung der Tabernakelform beschäftigt zu haben.