Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 231 233

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wickelung begriffen, über wenige Mittel zu gebieten hat, ja sogar noch zu den Mitteln vorhergehender Style greift, sich aber dabei der Art und Weise vollständig bewusst ist, wie er diese Mittel zu verwenden hat, um sie sich unterzuordnen, sie nicht vorhersehen zu lassen.
Nun könnte man mir zwar entgegenhalten, dass dieser Unterschied im Charakter ja schon durch die Bestimmung der Gebäude vorgeschrieben gewesen sei, dass der Dogenpalast als Sitz der Regierung ein viel ernsteres, gemesseneres Wesen habe aussprechen müssen, als der Wohnsitz einer reichen Familie, dass Calendario aber während der Behandlung der Hallen manchen Fortschritt in der Beherrschung der Stylmittel habe machen können etc.; aber abgesehen davon, dass Calendario die Vollendung der Hallen kaum erlebte, so würde es doch jedenfalls auch bei Beibehaltung alles vollen Ernstes recht gut möglich gewesen sein, die Verzierungen am Dogenpalast ebenso reich, ebenso entwickelt zu gestalten, als dies an der Cá d'oro der Fall ist; man muss also annehmen, dass mangelnde Fertigkeit die Ursache gewesen sei, warum man am Dogenpalast hier und da zu Anwendung byzantinischer Formen griff, während an der Cá d'oro sich die weitvorgeschrittene Herrschaft über gothische Motive auch in Ornament und Blattwerk kundgibt.
Nun kommen allerdings auch an der Cá d'oro*) ältere, ja sogar byzantinische Arbeiten vor, uns scheinen aber alle diese Stücke nicht gleichzeitig mit dem Bau gearbeitet, sondern vielmehr bei demselben blos wieder verwendet worden zu sein, nachdem sie schon bei einem früher an dieser Stelle stehenden Haus angebracht waren. Zum grössten Theil zeigen sie Beschädigungen, welche vor dem Versetzen vorhanden gewesen sein müssen, nur wenige laufen auf den Ecken regelmässig aus, ferner sind selbst die in einer Reihe stehenden oft ungleich breit und hie und da sind Stücken dazwischen gesetzt, die viel spätere Arbeit zeigen und der Zeit um 1400 anzugehören scheinen.
Auch die Capitäle der untern Halle scheinen alt zu sein, bis auf die der Kämpferpfeiler, welche gleichzeitig mit dem Bau sind. Wir glauben daher annehmen zu können, dass wir in der Cá d'oro ein Bauwerk vor uns haben, an dessen Stelle früher ein Palast in dem Style der Paläste Loredan und Farsetti stand, der vielleicht wegen Baufälligkeit oder dergleichen abgetragen werden musste; dieses Gebäude hatte aber, wie es scheint, im Anfang des 14. Jahrhunderts bereits Verände-
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*) Der Name dieses Palastes wird von den Meisten Cá dóro, Goldhaus, geschrieben (wegen der vielen Vergoldung, oder als früheres Münzhaus ?), von Andern Cá Doro, als Besitzthum einer Familie Doro; welches von beiden richtig ist, vermögen wir nicht zu entscheiden.

 

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