Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 197 199

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Dadurch entstanden allerdings zum Theil unharmonische Capitälformen, zum Theil aber auch höchst frappirende Combinationen, indem das neu Angearbeitete nicht nur kein Zeichen von ängstlichem Anschmiegen an Formen aufweist, die man denn doch nicht verstehen konnte, sondern keck und frei neben das Alte gestellt ist und hier und da das Alte, so zu sagen, besiegt. An einigen sind die weggebrochnen Schnecken in Adler, Tauben etc. mit ganz mittelalterlicher Flügelbildung umgewandelt. Nun ist aber an dieser Nordseite, namentlich nach der nordwestlichen Ecke des Gebäudes zu die Anzahl der ganz neu gearbeiteten Capitäle ziemlich häufig und diese besonders bieten eine äusserst interessante Anschauung von der Art dar, wie man damals byzantinische , antike und gothische Momente zu vereinigen strebte, wie man also im Kampfe mit sich selbst war. Man findet da das Motiv Fig. 10 mit Netzwerk an den Ecken und einer unentwickelten Kreuzblume dazwischen, darüber ein Abakus mit antikem Blattwerk, ferner allerlei Variationen des Würfelcapitäls in vollständiger Durchbrechung der Seiten, mit quadratischem, achteckigem Abakus, oder auch mit einer Abakusform, ähnlich der korinthischen, aber mit convexen statt concaven Schenkeln und abgerundeten Hörnern, dabei mit einer durchbrochenen Blätterkante besetzt, ferner das Motiv Fig. 44 in allen möglichen Variationen, mit Kreuzen, Monogrammen, Sternen, Füllhörnern, Fächerpalmen, Engeln, den Evangelistenthieren etc., kurz ohngefähr 20 der verschiedensten Capitälformen. Die Bekleidung der glatten Mauerfläche besteht aus unregelmässigen Platten, bis auf die Einfassungen der Reliefplatten, bei denen wir dasselbe Motiv sehen, welches später an Palästen häufig wiederkehrt, weisse und rothe Quadrate wechseln mit einander ab. Das Gebälk zwischen beiden Säulenreihen ist in Felder getheilt und jedes Feld enthält ein Kreuz. Bei der Anlage des Innern aber scheint man mit mehr Bewustsein zu Werke gegangen zu sein, als bei denen des westlichen Flügels, ein Blick auf Fig. 45 genügt, um sich davon zu überzeugen; die Verhältnisse der Bogen, Kuppeln etc. sind bei weitem gefälliger und leichter; auch diese Kuppeln sind reich mit Mosaik verziert, welche zum Theil von den Brüdern Zuccato und von Bozza ausgeführt sind und erst zu Ende des 15. Jahrhunderts ihrer Vollendung entgegengingen. Dieselben sind zum grössten Theil heller, einige sogar matter in den Farben, als die ältern. Auch erkennt man ihre spätere Entstehung leicht an dem sich bereits zur Renaissance hinneigendem Styl der Ornamente.
Zu gleicher Zeit mit der Nordhalle, vielleicht noch ein klein wenig vor ihr, wurden, wie es scheint, die Bögen S und U vollendet, an denen man ganz dieselben Wahrnehmungen machen kann als an jener.

 

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