Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 112 114

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Bis zum 7. Jahrhundert waren die Wohnstätten der Lagunenbewohner nicht viel mehr als hölzerne Hütten, mit Seegras oder Schilfrohr gedeckt, die, ähnlich den Indianerhütten der Prairien, auf Pfählen hoch über dem Sumpfboden standen; eine kleine Treppe führte zu ihnen empor; meistens hatten sie blos einen Raum, den Liagò, dieser war an einer Seite, gewöhnlich nach Süden zu, ganz offen, nur durch eine Rohrmatte ver-schliessbar. Der Raum darunter zwischen den Pfählen bildete eine Art offene Halle, zu den häuslichen Verrichtungen dienend und von einem einem kleinen Hof eingeschlossen, der einen Backofen, bei den Wohlhabenden auch eine Cisterne enthielt. Die Brücken waren Holzstege, Strassen und Plätze ungepflastert, die Hütten alle gleich gross und hoch, worüber das Daulische Gesetz wachte.
In der zweiten Periode vom Ende des 7. Jahrhunderts bis zu dem grossen Brande verbesserten sich die Wohnhäuser der vornehmen Familien schon bedeutend, namentlich auf den Inseln Dorsoduro, Luprio, Gemelle und Spinalunga, auf denen auch die bis jetzt betrachteten Paläste stehen. Die Kanäle wurden verengt, die Dümpel ausgefüllt, Dämme gezogen, steinerne Brücken gebaut, die Strassen gepflastert. Der Liagó erhob sich nicht mehr mitten im Hofraum, sondern an der Vorderseite des Grundstücks nach dem Kanal hinaus, die offene Vorderseite wurde durch ein Geländer verschlossen, die Treppe von hinten angelegt und oft aus Stein construirt, der Hofraum lag ebenfalls an der Rückseite; zu den Seiten des Liagó wurden bei grossen Familien nach vorn heraus Zimmer angelegt; um das Erdgeschoss wurden ebenfalls schützende Mauern herumgezogen. Nach dem grossen Brande nun in der dritten Periode wurde diese Disposition allgemeiner und mehr ausgebildet. Die Vorderseite des Liagà wurde mit Glasfenstern versehen und erhielt nun den Namen Portego. Vor den Glasfenstern wurde entweder die offene Halle beibehalten (als Pergolo) oder ein Balkon angelegt; der untere Raum wurde zu Magazinen, Kellern, Läden benutzt, die eine grosse Hausflur, die Entrada, einschliessen. Da diese höher ist, als die Seitenräume, so entstand über letzteren eine Mezzana, ein Zwischenstock, welches die Comptoirs, die Wohn- und Schlafzimmer der Handelsdiener, bei vornehmen Häusern die Livrée aufnahm. Das erste Haupt-geschoss enthielt, wie schon erwähnt, den Portego mit dem Pergolo, zu dessen Seiten die Wohnzimmer der Herrschaft. In dem zweiten, etwas niedrigeren Geschoss liegt ein dem Portego ähnlicher, etwas einfacherer Saal, neben demselben die Schlafzimmer der Söhne und Töchter und die geräumige Küche. Bei vielen Palästen grösserer Familien folgt dann noch ein Halbgeschoss unter dem Dach mit den Schlafbehältnissen für die Dienerschaft, Böden und Vorrathsräume.

 

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