Auch wenn das historische Bewußtsein bei Architekten und Denkmalpflegern nach vielen desaströsen Sanierungen bis in die 1980er Jahre hinein generell gewachsen ist, bedeutet dies dennoch nicht, daß historischen Putzen bei heutigen Sanierungsmaßnahmen die Behandlung zukommt, die denkmalpflegerisch notwendig und historisch richtig ist. Die Verstümmelung der wertvollen gotischen Süd- und Ostfassaden des Palazzo Gritti Badoer am Campo Bandiera e Moro im Jahre 2004 ist des 21. Jahrhunderts bislang das desaströseste Beispiel von sinnlosem Vandalismus an alten Putzen. Das Gegenbeispiel ist der Palazzo Bernardo am Canal Grande, bei dem nach einer intensiven Analyse die unter dem Dachgesims noch in großer Zahl vorhandenen gotischen Putzfelder erhalten blieben und die Fassade nur geschlämmt wurde. Die Ergebnisse der Bauforschung wurden ausführlich publiziert 1. Neuerdings ist auch die Restaurierung des Palazzo Duodo Giusti durch die venezianische Denkmalpflege hervorzuheben.
Bedauerlicherweise hat sich bei Bauten, an denen keine alten Putze mehr erhalten sind, die Unsitte durchgesetzt, vorhandene Steinteile - beispielsweise Kalksteinbänder und die omnipräsenten steinernen Eckrahmungen - in modernen und bis zu 10cm dicken Sanierputzen regelrecht zu ertränken. Erfahrungsgemäß halten diese Putze nicht lange und versanden bereits nach kurzer Zeit. Hingegen halten die traditionellen dünnen, harten Kalkputze, wie sie zu Beginn der 1980er Jahre bei der Restaurierung der heutigen Accademia von Andrea Palladio als Ergänzung zu den noch vorhandenen Putzresten angebracht wurden, bis heute ohne Schäden. Noch fataler ist der oftmalige Entschluß, Wassergeschosse gar nicht mehr zu verputzen, hält doch der Putz aufgrund der Salzbelastung des Mauerwerks nicht lange. Stattdessen wäre ein dünner sog. "Opferputz" angebracht, der zwar nach wenigen Jahren naturgemäß umfassend erneuert werden muß, aber die Salze aus dem Mauerwerk zieht - ein Verfahren, das auch in der italienischen Denkmalpflege keineswegs unbekannt ist. 2
Venedig war schon immer eine stark farbige Stadt. Die gotischen dünnen Kalkputze, die mit ihren meist mit geometrischen Mustern in rot, grün und gelb die Fassaden prägten, sind nicht nur auf alten Darstellungen wie der "Heilung eines Besessenen" von Carpaccio zu erkennen, sondern teilweise auch heute noch erhalten. Das herausragendste Beispiel ist der Palazzo van Axel, in dessen weitestgehend original (bezogen auf das 15. Jhd.) überkommenen Innenhof die umfangreichsten Flächen überhaupt erhalten sind. Besonders gerne halten sich Putze unter Dachgesimsen, wo sie vor Regen geschützt sind. Noch bei frühen Renaissancepaläste wurde die Fassadenmalerei beibehalten. An Stelle geometrischer Muster traten nun Historien und Allegorien. Gegenüber Inkrustationen waren Fresken in der Hierarchie der Dekoration von deutlich niederem Rang: so wurde es untersagt, daß das Fondaco dei Tedeschi bei der Rialtobrücke mit Stein verkleidet würde. Stattdessen bemalten Tizian und Giorgione die Fassade. Prominente Beispiele von freskierten Fassaden waren weiterhin die palazzi d'Anna, Trevisan und Sangiantoffetti, wo sich allerdings nichts erhalten hat. Unter späteren Putzen haben am Palazzo Barbarigo die Fresken von Camillo Ballini überlebt, ebenso Reste derer Tintorettos am Palazzo Gussoni.
Dies ist naturgemäß kein vollstädiger Atlas der erhaltenen historischen Putze; dieser wird derzeit von Mario Piana an der IUAV erarbeitet und ebenfalls im Internet publiziert werden.
Armani, Emanuele, Piana, Mario: Primo inventario degli intonaci e delle decorazioni esterne dell'architettura veneziana. in: Colori, coloriture, restauro. Ricerche di storia dell'arte 24.1984, pp. 44-54
1 Schuller, Manfred: Le facciate dei Palazzi medievali a Venezia, in: L' Architettura Gotica Veneziana, a cura di Francesco Valcanover e Wolfgang Wolters (Atti del Convegno internazionale di Studi), Venezia 2000, pp. 281-351
2 Feiffer, Cesare: ll progetto di conservazione, Milano 1996