Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 239 241

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der Westseite; der eigentliche Hauptsims ist gleich der gesammten Ornamentik aus Formziegeln zusammengesetzt und zwar in ziemlich flacher, ausdrucksloser Weise, welche nicht ganz mit den untern Theilen in Harmonie steht; derselbe Hauptsims, der, wie manches Andere an diesem und den gleich zu betrachtenden Bauwerken auf Einfluss von Padua (s. S. 169) und überhaupt vom Festland Italiens her deutet, umzieht die halben Achtecke der Seitenapsiden, aber ohne die verschlungenen Halbkreise darunter, welche aber auf den Langseiten des Gebäudes wiederkehren.
Ganz ähnliche Ziegelarchitecturen findet man in Padua, Bologna, Verona, Brescia, Pavia, ja selbst in der Gegend von Mailand, so dass in der kirchlichen Architecturgestaltung Venedig sich weit weniger vom Festland Italiens isolirt, als in der Profanarchitectur. Nur insofern könnte man einen Unterschied aufstellen, als in Venedig höchst selten die Ziegelarchitectur in vollständiger Consequenz durchgeführt ward; die Thürgewände mindestens sind stets von Stein ausgeführt; auch ist bei Gestaltung der einzelnen Formziegel mehr auf Nachahmung von Steinformen hingestrebt, als auf durchgebildete Darstellung der Ziegelconstruction; ferner sind die Ziegel grösstentheils einfarbig, höchstens findet man rothe und braunschwarze, wie zum Beispiel an einer Mauer des Klosters San Zaccaria, in rautenförmiges Netzwerk geordnet; wo man bunte Farbe haben wollte, bemalte man lieber die Ziegel mit Ornamenten oder setzte Marmorplatten an. Fast gar nicht findet man in Venedig die auf dem Festland Italiens so beliebten schüsseiförmig vertieften Scheiben von glasirtem Ton, überhaupt sehr wenig glasirte Ziegelarbeit. Aus den Formen aber der Ziegel scheint fast hervor zu gehen, dass dieselben Fabriken die Formziegel für Venedig und jene oben genannten Städte auf dem Festland geliefert haben.
Unter allen Kirchenfaçaden zeigt die Scuola della Caritá, welche jetzt zur Kunstakademie gehört, am meisten Aehnlichkeit mit San Gregorio, ja man wird fast versucht zu glauben, dass ein und derselbe Architect beide Gebäude entworfen hat. Leider hat auch diese Kirche bei Umwandlung des dazu gehörigen Klosters zur Akademie manche Umwandlung erleiden müssen; blos die Westfaçade ist ziemlich davon verschont geblieben; sie zeigt dieselbe Disposition, wie die von S. Gregorio; die kleinen Spitzbogen, welche sich in den grossen Bogen herumziehen, sind aber nicht blos auf Consolchen, sondern auf central gestellte Säulchen gestützt, ebenfalls ein vom Festland stammendes Motiv. Die Giebel sind nicht geschweift, sondern geradschenklig und tragen Kriechblumen in derselben Weise gestaltet, wie wir sie am Portal vom S. Stefano, auf den Giebeln der Markuskirche etc. wieder-

 

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