Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 190 192

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diesem Prachttempel in jener Zeit Gebaute werden wir bald zurückkommen, jetzt aber wollen wir uns zunächst zum Dogenpalast wenden.
Nächst der Markuskirche ist nämlich der Dogenpalast unter allen Gebäuden Venedigs wohl dasjenige, das an seinen verschiedenen Theilen die Erzeugnisse der verschiedensten Kunstepochen in sich vereinigt. Gleich der Markuskirche ist auch der Dogenpalast in Bezug auf seine Entstehungsperioden in ein gewisses Dunkel gehüllt, welches durch die bis jetzt in Betreff seiner alten Theile geltend gemachten so verschiedenen Meinungen nur noch vermehrt worden ist; meistentheils nimmt man an, dass die ganze äussere Façade oder doch mindestens die nach der Riva dei Schiavoni gekehrte, nach den Entwürfen des unglücklichen Calendario errichtet sei. Dem widerstreiten Andere, aber wir verzichten darauf, alle die verschiedenen Conjecturen über Erbauungszeit und Architecte!) des Dogenpalasts hier auch nur anzuführen, oder wohl gar da, wo unsere Ansicht davon abweicht, mit Citaten etc. zu widerlegen, sondern werden blos unsere Ansicht aufstellen und die Gründe, durch welche sich uns dieselbe aufgedrungen, in aller Kürze anführen.
Der alte Dogenpalast, welcher nach mehrfachen Bränden etc. allemal nur nothdürftig reparirt worden zu sein scheint, war baufällig und seine Räumlichkeiten reichten für die Versammlungen der verschiedenen, bei den Verfassungsveränderungen jedesmal vermehrten Regierungscollegien nicht mehr aus. Da es aber an einem Gebäude fehlte, in welchem man während des Baues die Regierungsgeschäfte hätte besorgen können, vielleicht auch blos, weil man eben von dem Gebäude sich auch nur auf kurze Zeit nicht entfernen wollte, so konnte von einem totalen Abtragen des Gebäudes und Ersetzen desselben durch ein von Grund aus neues nicht die Rede sein, sondern blos von allmäliger Erneuerung der einzelnen Theile mit gleichzeitiger Erweiterung derselben. So beschloss man denn im Jahr 1301, den Wahlsaal (sala dello Scrutinio) neu zu bauen und kam nach Sansovino bis zum Jahr 1309 damit zu Stande; an diesem Bau, von dessen damaliger Gestalt so viel wie nichts erhalten ist, kann Calendario nicht mit gearbeitet haben. Er stand beim Beginn desselben noch im Knaben- oder sehr zarten Jünglingsalter; er gehörte auch damals noch gar nicht dem Architectenstande an, wenn man überhaupt dies von ihm behaupten kann.
Filippo Calendario war nämlich ursprünglich Seemann oder vielleicht Schiffsbauer und wohnte für gewöhnlich in Marano. Erst später ging er zur Baukunst über und scheint sich immer hauptsächlich mit Holzconstruction befasst zu haben, wie z. B. die oben erwähnten Arbeiten am Arsenal, unter dessen Beamten er Verwandte und Freunde hatte; ja in einigen Chroniken wird er bei Gelegenheit seiner Hinrichtung

 

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