Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 189 191

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kurz alle die Elemente, welche, zur Gestaltung eines Styls beitragen, waren in Venedig nicht zur strengen Durchführung eines Perpendikularstyls geeignet; ausserdem hörte auch der Einfluss des Orients dort nie ganz auf. Während nun die gothischen Elemente noch mit den romanisch-byzantinischen etc. Reminiscenzen im Kampf begriffen und kaum dahin gelangt waren, sich mit demselben zu einem zwar nicht organisch durchgebildeten, aber doch in seiner Erscheinung vollkommen harmonisch gestalteten Ganzen zu amalgamiren, begann schon, zeitiger als irgend anderswo (Florenz und Pisa ausgenommen) die Antike ihren Einfluss geltend zu machen. Wie wir sehen werden, geschah dies so allmälig und im Anfang an so untergeordneten Theilen, dass man von einem Abschnitt in der Gestaltung kaum würde reden können, wenn sich nicht eben diese kleinen Veränderungen ziemlich gleichzeitig überall, so weit die venetianische Schule ihre wirkenden Hände ausbreitete, in ganz derselben Weise zeigte, so dass man die Zeit zwischen 1368 und 72 als den Wendepunkt bezeichnen kann, bei dem in Venedig der Kampf zwischen Mittelalter und Renaissance begann, welche letztere erst im Anfang des 16. Jahrhunderts den Sieg in diesem Kampf vollständig
davontrug. Daher schliessen wir die Betrachtung der selbstständigen Bildhauer arbeiten der venetianisch-gothischen Periode mit dem Denkmal des 1367 verstorbenen Marco Cornaro und gehen dann zu den Bauten derselben Periode über. Dieses Denkmal steht auf der linken Seite der Haupt- und Mittelcapelle im Chorbau von S. Giovanni e Paolo. Der Haupttheil auch dieses Denkmals ist ein Sarkophag, ähnlich gestaltet wie die oben betrachteten. Auf dem Sarkophag liegt wie gewöhnlich die Porträtfigur des 82jährigen Greises, dessen Klugheit, Sanftmuth und Beredtsamkeit sich deutlich in den mit geschickter Hand dem harten Stein abgewonnenen Zügen wiederspiegelt; ebenso elegant als die Gewandung dieser Figur, sind die einfach und klar angeordneten Gewänder der fünf Figuren gearbeitet, welche in ebenso viel Nischen über dem Sarkophag vertheilt sind. Die mittelste ist eine Jungfrau Maria; zu ihren Seiten stehen Paulus und Pontus und auf den Ecken noch zwei Heilige. Sämmtliche Figuren zeigen ein Hinneigen zur Pisaner Schule und in manchen Stücken ähnelt die Behandlungsweise so sehr der an den Werken der Masegne wahrnehmbaren, dass wir uns mit Selvatico fast versucht fühlen, dieses Monument für eine Jugendarbeit der wackern Brüder zu halten, deren Arbeiten den Schluss der eben betrachteten Periode bezeichnen, aus welcher noch eine Menge weniger bedeutende Arbeiten in Venedig selbst und seinen Provinzialstädten erhalten sind, namentlich an den decorativen Theilen von San Marco. Auf das an

 

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