Die Kirchen von San Giuseppe und San Nicolò di Castello. Ansicht von Antonio Visentini, 1742
Nach einem habsburgischen Intermezzo fiel Venedig im Jaunar 1806 erneut an die Franzosen. In dieser zweiten französisch-napoleonischen Periode fand, bedingt durch die Säkularisation, der größte Aderlaß an architektonisch-künstlerischem Erbe Venedigs statt. Mit Dekreten vom 18.06.1806 und 28.07.1806 wurden insgesamt 60 Klöster und 24 Kirchen aufgelöst und einer neuen Verwendung zugeführt. Die daraufhin erfolgten, teils durch Verkäufe an Spekulanten bedingten Verwüstungen und Abrisse von Kirchen und der Verkauf beweglicher Kunstwerke werden bei Zorzi ausführlich dargestellt. 70 der einst 187 Kirchen wurden abgebrochen. Der Kunstmarkt brach unter einem Überangebot zusammen. Auch nach der Rückkehr der Österreicher 1815 hörten die devastazioni che, nono previste dal decreto napoleonico di soppressione degli ordini (Romanelli, p. 37) keineswegs auf.
An dieser Stelle werden nur einige der bekanntesten Beispiele vernichteter Kirchen aufgeführt:
San Antonio di Castello: Die vielleicht von Jacopo Sansovino entworfene Frührenaissancekirche wurde abgetragen. Der Bogen der von Michele Sanmicheli errichteten Lando-Kapelle befindet sich heute in den Giardini. San Giuseppe di Castello (S. Isepo
) ist erhalten geblieben, aber in völlig verwahrlostem Zustand; das Kloster wird als Schule genutzt.
Sant' Angelo: Die Kirche und der spätgotische Campanile wurden 1837 abgerissen und hinterlassen bis heute eine städtebaulich ungelöste Situation - das ehemalige Kloster von Santo Stefano zeigt sich nun mit seiner Rückseite zum Platz. Siehe auch Campo Sant'Angelo.
San Biagio e Cataldo : Das Kloster auf der Giudecca wurde aufgelöst, war 1855 im Besitz des Unternehmers Wiel. Nachdem es 1881 von dem Industriellen Stucky erworben worden war, wurden Kloster und Kirche beim Bau der Molino Stucky abgerissen. Die Säulen von San Biagio wurden dem Pfarrer von S. Eufemia geschenkt und im Portikus der Kirche verbaut.
San Boldo: Von der 1735 nach Entwurf von Giorgio Massari errichteten, 1808 geschlossenen und 1828 vernichteten Kirche haben sich nur Teile des Campanile erhalten.
San Cipriano auf Murano: Nach der Verlegung des Seminars der Patriarchen im Jahr 1817 in den ehemaligen Konvent der Somasker bei Santa Maria della Salute auf Initiative des Patriarchen Francesco Maria Milesi wurden die Kirche und das Klosters der Umiltà abgebrochen
San Cristoforo: Im Rahmen der Schaffung eines Zentralfriedhofs wurde die gotische Klosterkirche und der Konvent auf der gleichnamigen, heute mit San Michele vereinten Insel 1806 abgerissen. Dabei wurden auch mehrere Gemälde von Francesco Guardi vernichtet.
San Geminiano : Siehe die Darstellung unter Markusplatz
San Gregorio: Das Kloster wurde aufgelöst. Die Kirche wurde profanen Nutzungen zugeführt. Einer der beiden Kreuzgänge wurde abgerissen; an seiner Stelle steht der neugotische Palazzo Genovese.
Santa Lucia mußte erst dem Bau des ersten Bahnhofs im Jahre 1860 weichen und ist nicht von der napoleonischen Dekreten zu verantworten.
Santa Marina: abgerissen, die enthaltenen Dogengrabmäler wurden teilweise nach Santi Giovanni e Paolo transloziert, der prachtvolle spätgotische Baldachin des Grabs von Michele Steno, dessen Aussehen durch die Zeichnung von Grebembroch im Codice Gradenigo-Dolfin überliefert ist, ist allerdings verloren.
Santa Maria della Carità: 1807 wurde die Accademia im Kloster installiert, weitere massive Umbauten unter Francesco Lazzari fanden um 1828 statt. Die gotische Kirche, die noch auf diversen Darstellungen des späten Settecento Lanzettfenster und ein gotisches Portal aufwies und im Inneren einen barco, elf Altäre und mehrere kunsthistorisch bedeutende Dogengrabmäler, darunter jenes von Nicolò da Ponte, besaß, wurde unter Verlust des gesamten Dekors funktional umgebaut. Die Fassade ist stark geändert, und im Inneren wurde u.a. eine Zwischendecke eingezogen. Auch der Campanile existiert nicht mehr.
Das wie eine aufgeklappte Kapelle gestaltete Doppelgrab der Dogen Marco und Agostino Barbarigo, eines der bedeutendsten Grabmonumente der Frührenaissance, wurde 1807 zerstört, ist aber durch einen Stich von Suor Isabella Piccini aus dem Jahre 1692 überliefert (siehe Abbildung) 1. Teile dieses vormals Pietro Lombardo zugeschriebenen, nach neueren Erkenntnissen aber großteils von Giovanni Buora und Bartolomeo del Duca geschaffenen Werks haben überlebt: mit Trophäen geschmückte Pilaster befinden sich heute in der Villa Valmarana ai Nani bei Vicenza, die Antonio Rizzo zugeschriebene Figur des Agostino Barbarigo gelangte über Umwege in die Antisakristei von Santa Maria della Salute, und die zentrale Auferstehungsgruppe ist heute in Scuola di San Giovanni Evangelista.
Santa Maria ai Servi: 1812 wurde der Abriß der Servitenkirche begonnen. Die 22 Altäre sind weitgehend verloren. Reste des Konvents, darunter ein formidables spätgotisches Portal am Rio dei Servi, wurden beim Bau des Kinderheims "Daniele Canal" im Jahre 1862 wiederverwendet. Die zahlreichen Grabmale in der Kirche wurden teils vernichtet, teils transferiert. Jenes des Dogen Vendramin wurde nach Zanipolo überführt, das Grab des Dogen Francesco Donà ist bis auf die Statue desselben verloren. Ebenfalls in Zanipolo ist heute das Monument für Verde Dalla Scala, Frau von Nicolò d'Este marchese di Ferrara und Tochter von Mastino, des Herrn von Verona. Im Museo Civico di Vicenza befindet sich das Grabmonument für Giovanni Emo, welcher 1483 im Kampf gegen die Türken starb, und jenes für den Admiral Angelo Emo, geschaffen von Giovanni Ferrari Torretti, wurde in die Kirche San Biagio verbracht. Auch verschiedene Mitglieder der Familie Torniello waren in der Kirche bestattet gewesen. Es verbleibt die Cappella del Volto Santo mit einem freskierten Kreuzrippengewölbe.
San Martino auf Murano: zerstört, die Kirche besaß eine der interessantesten barocken Fassaden Venedigs.
San Nicolò di Bari (di Castello): eine Kreuzkuppelkirche, im Rahmen der Errichtung der Giardini abgerissen. Das Grabmal des Dogen Andrea Vendramin, der 1471 den Grundstein der Kirche gelegt hatte, wurde nach Santi Giovanni e Paolo transloziert. Das Portal ist heute in der Accademia verbaut. Das zur Kirche gehörige Seminario Ducale existiert nicht mehr.
San Secondo: Konvent und Kirche wurden abgetragen und die Insel in ein Fort umgebaut, welches während der bürgerlichen Revolution 1848/1849 stark umkämpft war.
Bassi, Elena: Tracce di chiese veneziane distrutte : ricostruzioni dai disegni di Antonio Visentini, Venezia 1997
Romanelli, Giandomenico: Venezia Ottocento, Venezia 1977
Zorzi, Alvise: Venezia scomparsa, Milano 1974