Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 95 97

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Sarkophagen entnommen sind, auf denen diese Stellung bekanntlich sehr oft vorkommt; sie mögen vielleicht alle oder wenigstens zum Theil byzantinische Arbeit sein, wenigstens lässt darauf die Technik derselben schliessen. Jetzt gelten sie für betende Madonnenbilder, das schönste derselben befindet sich in der Capelle Zeno eingemauert. Sie können aber ebenso gut italienische Arbeiten, unter byzantinischem Einfluss entstanden, sein. Aus den Inschriften darf man nicht allemal auf die Arbeitsstätte schliessen, so befindet sich z. B. an der Kirche S. Polo in Venedig ein Relief ganz ähnlicher Arbeit eingemauert, welches eine griechische Inschrift trägt und doch bei näherer Besichtigung sich als lateinische Arbeit und zwar aus dem 11. oder 12. Jahrhundert erweist. Ferner ist an der linken Umfassungsmauer von S. Marco ein Relief befindlich, welches Christus mit Maria und Johannes zu seinen Seiten darstellt; auf diesem Relief sind die Namen der drei Dargestellten ebenfalls griechisch eingeschrieben; hier lässt die Arbeit allerdings Zweifel übrig, ob man eine griechische Arbeit oder eine italienische nach griechischem Muster vor sich hat. Einzelnes an den Figuren deutet allerdings auf die naturgemässe Darstellungsweise der Lateiner, während anderes z. B. die ziemlich steifen Bewegungen und der sehr regelmässige Faltenwurf auf die schematisirte byzantinische Behandlungsweise, die glatte Bearbeitung auf die geübteren Meissel der Byzantiner hindeutet.
Ebensolche Zweifel erregt ein Medaillon in Marmor, welches an einem Hause bei S. Pantaleone eingemauert ist; das Haus selbst ist sehr einfach, aber in der Weise des 11. Jahrhunderts gebaut; das Medaillon stellt einen thronenden Kaiser in vollem, reichen Ornat dar und ist ganz in byzantinischer Weise gearbeitet, bis auf Kopf, Füsse und Hände, welche eher auf westliche Kunst schliessen lassen. Auch überschätzt man gewöhnlich die Fruchtbarkeit der byzantinischen Künstler in Beziehung auf Sculptur, denn wenn sie alles das gemacht hätten, was man für byzantinisch hält, so müssten sie erstens mehr Fortschritte in der Bildhauerei gemacht haben, als der Fall ist, und zweitens müsste dann auch die Verwendung von plastischen Kunstwerken an byzantinischen Kirchen eine viel zahlreichere gewesen sein, als sie historisch war. Die Griechen pflegten nur sehr selten plastische Bildwerke in ihren Kirchen anzubringen, denn dieselben waren durch eine Vorschrift des siebenten oecumenischen Concils verboten. Unzweifelhaft lateinische Arbeit sind die Basreliefdarstellungen der vier Evangelisten an der Südseite der Kirche nach der Piazzetta zu.
Im Tesoro (der Schatzkammer), der wahrscheinlich zu Anfang des 13. Jahrhunderts gebaut ward und auf den wir daher später zurückkommen werden, befindet sich ein Basrelief aus guter altchristlicher

 

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