Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 91 93

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bündig mit der Vorderfläche der Eckpilaster; der Brüstungsgurt zieht sich hier auch herum und auf demselben stehen gerade über den Nischen drei schlanke Rundbogenfenster, über denen sich der Hauptkämpfer herumzieht, auf dem dann die Halbkugel der Nische aufsteht. Aehnlich, nur kleiner und einfacher ist die Gestaltung der Nebenapsiden mit je fünf Nischen. Jene Fenster in der Hauptapsis, sowie einige in der Kirche hie und da verstreute kleinere Fensteröffnungen sind durch Steingitter von überaus feiner und accurater Arbeit geschlossen, die aus Verschlingungen geometrischer Linien bestehen, welche Kreuze, Sterne etc. bilden; grösstentheils sind diese Figuren nur aus geraden Linien zusammengesetzt, hie und da aber auch aus Kreisen, doch scheinen uns dies spätere Ergänzungen zu sein, jene aber sind, dies ist schon aus dem Verbände und dem genauen Passen in die Oeffnungen zu schliessen, während des Baues gearbeitet; dieser Umstand und die grosse Aehnlichkeit dieser Gitter mit den oben erwähnten, in Fig. 47 dargestellten, ebenfalls für den Bau gearbeiteten Kapitälen bekundet erstens den hohen Stand der Technik in Venedig zur Zeit dieses Baues, zweitens aber auch eine gewisse Vorliebe des leitenden Architekten für solche Ornamentik, und brachte uns zu der Vermuthung, dass die oben erwähnten durchbrochenen Halbkugeln (Fig. 46) ebenfalls während des Baues gearbeitet seien; daran reiht sich die Vermuthung, dass auch unter den Mosaikarbeiten diejenigen, welche ähnliche Muster haben, aus derselben Zeit stammen, die andern theils reicher, theils in ganz anderem Styl gehaltenen aber später sind; ehe wir aber zur Besprechung derselben übergehen, haben wir noch Einiges andere zu betrachten.
Gleichzeitig mit dem Bau ist jedenfalls der Hauptaltar, in dessen Tisch der Leichnam des heiligen Marcus ruht. Er steht isolirt unter der Kuppel des östlichen Kreuzarmes unter einem Tabernakel; dieses ruht auf vier corinthischen Säulen, die aber statt der Canelirungen Darstellungen von heiligen Geschichten aus dem alten und neuen Testament in Flachrelief tragen. Diese Reliefs sind nicht wie bei der Trajans-säule schraubenförmig herumgeführt, sondern in 9 Ringen oder Etagen über einander, jeder Ring ist durch kleine Säulchen in 9 Theile getheilt, so dass im Ganzen 324 Säulchen und ebenso viel getrennte Bilder entstehen. Aehnliche Tabernakel finden sich vielfach in den Basiliken Roms, in S. Ambroggio in Mailand etc.; sie haben aber in der Regel auf dem Gebälk oder den Bogen, die die Säulen verbinden, eine kleine, sehr niedrige Säulenstellung, die entweder Frontispice oder auch ein flaches Satteldach oder endlich auch eine Kuppel trägt; alles dies fehlt hier. Traditionen geben die Säulen für byzantinische Arbeit des 11. Jahrhunderts aus; die rohe Meisselung und der Umstand, dass

 

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