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Ein Hüter von
S. Marco machte eines Nachts seine Runde auf der Gallerie über der ersten Arkade des Doms trotz eines furchtbaren Sturms welcher die empörten Wogen gen Himmel schleuderte; durch dichte Wolken war der Mond verdeckt und die tiefe Finsterniss hatte ihn genöthigt, eine Laterne mit auf seinen Umgang zu nehmen. Als er an die Ecke über der Kapelle Zeno gekommen war, gedachte er seines Sohnes, eines armen Schiffers, der noch nicht von seiner Fahrt zurück war. Er stellte seine Laterne auf eine vorspringende Mauerecke und betete inbrünstig und siehe, gerade diese Laterne hatte seinem Sohn gezeigt, wo er war, und ihn vor dem Zerschellen am Mauerwerk des Molo geschützt. Der dankbare Vater stiftete ein Lämpchen, welches allabendlich an dieser Stelle vor einem Madonnenbild brannte und die
Piazzetta nothdürftig beleuchtete. Bald brachten viele Privatleute an ihren Häusern solche Madonnenbilder mit Lichtern an und so entstand eine Art Strassenbeleuchtung, welche noch jetzt in den Seitengässchen und entlegenen Vierteln besteht.
Um damalige Zeit wurde aber nicht nur im Innern der Stadt möglichst für freie Communication zu Wasser und zu Lande gesorgt, sondern man bemühte sich auch, die Communication in den Lagunen möglichst frei zu halten und die
Porti zu vergrössern, was namentlich der
Porto di San Nicolo dringend nöthig hatte; zu diesem Ende hatte man bereits seit 1410 versucht, durch Leitung der Brenta nach dem
Porto von Malamocco der Strömung des Wassers eine andere Richtung zu geben; da aber der Erfolg lehrte, dass man sich in der Berechnung getäuscht hatte, indem durch diese Veränderung der Hafen von Malamocco sich erweiterte, der Hafen
S. Nicolo hingegen zwar von Schilf befreit war, aber seichter zu werden begann, so fasste man einen andern Plan und leitete die Brenta wieder direct auf Venedig zu. Die Ausführung dieses Plans dauerte bis 1438, wo dann die Brenta wiederum nach Malamocco hingeleitet wurde; diese häufigen Veränderungen zeugen nicht etwa, wie man sehr leicht zu glauben versucht wird, für einen sehr nie. dem Stand der Kenntniss der Wasserbaukunst, sondern sind herbeigeführt durch das unzuverlässige, veränderliche Wesen der Lagunen, deren Bewegungen und Aenderungen durchaus nicht voraus zu berechnen sind, wie man denn auch in den Chroniken häufige Nachrichten von Ueberschwemmungen, Erdbeben, Wassermangel etc. ira bunten Durcheinander findet. Diese Umstände, welche die ersten Ansiedelungen der Venetianer vor den Angriffen mit grössern Schiffen geschützt hatten, fingen jetzt an, dem Handel nicht nur hinderlich zu werden, sondern sogar auf die Kriegsflotte nachtheilig einzuwirken, indem neue Kriegsschiffe nicht mehr