Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 9 11

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die Christen die ersten Jahrhunderte hindurch ausgesetzt waren, im Verborgenen, theils in den Häusern der Christen, theils in den Katakomben. Solche Zeiten der Verfolgung sind natürlich durchaus nicht geeignet zu Gestaltung einer Kunst. Auch sind uns aus dieser Zeit nur sehr wenig Kunstwerke im Bereiche des venetianischen Gebietes geblieben. Die wichtigsten dürften zwei zu Aquileja im Jahre 1817 gefundene, jetzt im Antikenkabinet zu Wien befindliche Grabdenkmäler sein. Das eine derselben ist 11 1/4 Zoll hoch, 1 Fuss 11 Zoll breit und enthält ausser einer stehenden, händeerhebenden Figur zwischen zwei Tauben eine Inschrift, welche mit der heidnischen Eingangsformel D. M. beginnt und dem Knaben Constantius, dem Unschuldigen, Holdesten, Wohlverdienten gewidmet ist. Das andere ist 1 Fuss 1 Zoll hoch und 1 Fuss 4 Zoll breit. Die Inschrift beginnt mit der christlichen Eingangsformel B. M. und drückt für den wohlverdienten Vegetianus, welcher 81 Jahre verlebte, den Wunsch aus: „Er ruhe in Frieden und sei aufgenommen." Dieses Denkmal enthält ausserdem noch das Christuszeichen, (siehe die Vignette) zwischen zwei Tauben auf Zweigen und darunter eine Figur mit gebognen und emporgehobenen Armen. Die Arbeit ist sehr roh und dies deutet darauf hin, dass die in Rede stehenden Grabschriften aus jener Zeit der Verfolgung stammen, wo die Christen es nicht wagen durften, durch bessere Künstler, die ja grösstentheils Heiden waren, solche Sachen arbeiten zu lassen. Dasselbe lässt sich auch aus der heidnischen Eingangsformel des einen schliessen, die aus Furcht trotz des danebenstehenden christlichen Symbols angewendet wurde.            Als aber 312 n. Chr. Constantin der Grosse die neue Religion in Schutz nahm, da stieg das Christenthum hervor aus seinen dunkeln Zufluchtsstätten, aus den Katakomben und gestaltete bald die Hallen, worein es nunmehr seine Anhänger zur Anbetung des Höchsten berief, nach seiner Eigenthümlichkeit, seiner Wesenheit und dem daraus hervorgehenden Bedürfniss, also natürlich wesentlich verschieden von dem finden christlichen Gottesdienst gänzlich unbrauchbaren heidnischen Tempel. So sehr auch Manche es des Christenthums unwürdig finden mögen, zu behaupten, dass die alten Christen heidnische Handels- und Gerichtshallen, antike Basiliken zu Kirchen benutzt, ja sogar ihre Kirchen darnach gebaut und benannt hätten, und so sehr es auch noch dieser Behauptung an stricten Beweisen fehlt, so ist doch einerseits die Thatsache der auffallenden Aehnlichkeit in der Disposition und der Namensgleichheit nicht wegzuleugnen. Andrerseits aber ist doch gewiss kein Vorwurf darin zu finden, wenn eine Gemeinde, die gewöhnt ist, ihrem Gott vereinigt zu nahen, in sein Haus zu treten, vor seinem Richter-

 

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