Ponte Calatrava

 

Die Brücke des spanischen Architekten Santiago Calatrava am Ostende des Canal Grande ist wohl das am meisten umstrittene Projekt der jüngeren venezianischen Architekturgeschichte. Schon seit knapp zehn Jahren wird an dem Bauwerk, von dem bis heute nur die Widerlager wie zwei faule Zähne aus der Lagune ragen, entworfen, diskutiert und nachgebessert. Im Juni 1996 stellte der damalige wie heutige Bürgermeister, der Philosoph Massimo Cacciari, das Projekt einer vierten Brücke über den Canal Grande als ein Geschenk Calatravas vor. Der Bahnhof und der Parkplatz Piazzale Roma sollten durch eine nur aus Stahl und Glas gefertigte Konstruktion miteinander verbunden werden. Drei weitere Brücken über den Canalazzo existieren schon: die Rialtobrücke, die Accademia-Brücke und die Scalzi-Brücke.

Cantiere Ponte Calatrava
Foto der Baustelle, Juni 2005

Vier Milliarden Lire wurden schnell bewilligt, auch die Commissione di Salvaguardia gab ihre Zustimmung. Cacciaris Nachfolger Paolo Costa verkündete 2000 vollmundig, zur Festa del Redentor 2002 wäre die Brücke fertig. Doch im Januar 2001 hatten sich die geschätzten Baukosten verdreifacht; im Stadtrat waren von 12 Milliarden Lire die Rede. Inzwischen beschäftigt sich der Rechnungshof (corte dei Conti) mit dem Fall. Immer weiter wurde der Fertigstellungstermin verschoben. Er ist, nach einem Bericht des Gazzettino vom 3.8.05, jetzt für die "ersten Monate des Jahres 2006" angesetzt. Behindertengruppen meldeten sich zu Wort, die Brücke müsse behindertengerecht angepaßt oder eben nachgerüstet werden usw. Zwar wird derzeit auf der Baustelle gearbeitet, doch auch Mitte 2005 bleibt die Frage spannend, wann der Bau vollendet wird.

Das über 90 Meter lange Bauwerk soll aus 74 Stahlsegmenten bestehen. Ein Mustersegment wird beim Bahnhof ausgestellt. Im Boden eingelassene Lichter sollen einen Lichtgehsteig (so Calatrava) erzeugen. Durch urbanistisches Niemandsland, einem von architektonischen Monstren des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts einfaßtes Fleckchen Venedig, das ein wenig an die Bronx erinnert, soll also künftig der Reisende sich begeben, will er vom Parkplatz zum Bahnhof gelangen. Und über die höchste Brücke Venedigs steigen, die zudem nicht etwa geradlinig über den "Canalazzo" gelegt wird, sondern schräg. Im Fünfinutentakt verbinden aber heute bereits die städtischen vaporetti den Piazzale Roma bequem mit dem Bahnhof. Doch nicht nur wegen ihrer faktischen Nutzlosigkeit ist die "Ponte Calatrava", oder "Ponte della Pace" (so Vorschläge für die künftige Bezeichnung) in Venedig, wo vorhandene Brücken und Wege seit Jahren auf die rüdeste und billigste Art saniert werden, so verhaßt. Die venezianità dieses penetranten Beispiels modisch entarteter Stahl-Glas-Bauweise beschränkt sich - sofern überhaupt vorhanden - auf die Bogenform. Ein trojanisches Pferd, mit dem ein Architekt versucht, sich in einer Stadt, in der weder Le Corbusier, F.L. Wright noch Louis Kahn reüssieren konnten, ein Denkmal zu setzen.

 

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