Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 94 96

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Altar an der Vorderseite mit einem griechischen Kreuz geziert. — Wie wir schon erwähnten, wurden bei dem Bau der Marcuskirche vielfach alte Details an Steinmetz-, Bildhauer- und Metallarbeiten verwendet; einige davon haben wir schon näher angeführt, alle aufzuzählen würde hier zu weit führen, da sie nicht venetianischer Arbeit sind, zwar hie und da Einfluss auf die Gestaltung der venetianischen Kunst geübt haben mögen, aber denn doch für uns nicht die Wichtigkeit haben, wie die venetianischen Arbeiten selbst.
Der sogen. Stuhl des heiligen Marcus, welchen der Apostel in Antiochia benutzt haben soll, und der als Geschenk des Kaisers Heraclius an den Patriarchen voa Grado kam, ist, nach Technik und Zeichnung zu schliessen, ein Werk aus dem 10. oder 11. Jahrhundert; er hat, wenn man vom Material und den dadurch bedingten Modificationen der Formen absieht, sehr viel Aehnlichcs von den alten hölzernen Bischofsstühlen in den Holzkirchen Norwegens. Hoch und schmal gestaltet, hat er hohe, sehr steil nach hinten zu aufsteigende Seitenlehnen, eine fast lothrechte, sehr unbequeme Rücklehne und einen sehr schmalen, hohen Sitz, unter dem von der einen Seite aus offen eine kleine Höhlung sich befindet; die Ornamentation ist kärglich, unmotivirt und steif gearbeitet. Die eigentliche Verzierung ist rein symbolisch: die Thiere der Evangelisten mit den apocalyptischen sechs Flügeln, die Schaubrote etc. Auf der Vorderseite der Rücklehne sieht man das Lamm auf dem Berge mit den vier Strömen, auf dessen Spitze der die Welt beschattende Oelbaum durch eine fruchtreiche, viel verzweigte Olive dargestellt ist, darüber in einer scheibenartigen Ausbauchung der Lehne das Kreuz mit Petrus und Paulus zu den Seiten. Auf der Aussenfläche der Seitenlehnen sieht man je 5 angezündete Kerzen.
Das Ganze ist aber eine nach der Apocalypse verzierte cathedra von weissem Marmor, deren Gestalt, wie schon erwähnt, sehr den nordischen ähnelt, deren Ausschmückung sauber und glatt, aber unaccurat und ohne Verständniss gearbeitet, ohne Compositionsgabe entworfen ist, und die mehr archäologisches als artistisches Interesse bietet. Hie und da im Innern und am Aeussern zerstreut finden sich Basreliefs und Statuetten verschiedenen Alters und Ursprungs eingemauert; dahin gehört eine jedenfalls antike, die Proserpina suchende Ceres an der Ostseite der Kirche; sie ist dargestellt als von zwei Greifen gezogen und mit Fackeln in den Händen. Wenn nicht antik, sondern altchristlich, ist sie wenigstens aus der Zeit vor Anerkennung des Christenthums, wo man diese Darstellung oft als Bild der Maria, die ihres Sohnes Tod beweint, benutzte. Auch finden sich mehrere Reliefs, die eine weibliche Gestalt mit aufgehobenen Händen darstellen und wahrscheinlich von altchristlichen

 

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