Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 93 95

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abgesungen. Hinter der Mitte jedes Brüstungsfeldes steht eine sehr niedrige Säule, so dass diese Säulen abermals ein Sechseck bilden, welches aber enger ist als das untere und verschoben gegen dieses steht. Diese Säulen, bis beinahe zum Kapitäl von der untern Brüstung verdeckt, tragen abermals einen Fussboden mit aufstehender Brüstung. Diese Brüstung baucht sich allemal zwischen je zwei Säulen ziemlich halbkreisförmig aus; sie ist glatt, blos mit Sockelglied und Schlusssims von zarten), wenig ausgeprägtem, sogar fast kleinlichem Profil versehen. An einer der Ausbauchungen ziemlich über dem Epistelpult ist eine Console an den Sockelsims angearbeitet, welche eine kleine Säule trägt, auf dem Kapital dieser Säule sitzt eine Taube als Stützpunkt für das Evangelienpult. Ueber den einspringenden Winkeln der Brüstung steigen abermals sechs Säulen empor. Diese letzteren sind sehr schlank und tragen auf einem zartprofilirten Gebälk einen Schalldeckel in Gestalt einer bronzenen Kuppel, deren Grundriss ein Kreis, deren Profil ein Hufeisenbogen ist. Diese obere Säulenstellung mit der sehr orientalisch gestalteten Kuppel deutet allerdings auf etwas spätere Zeit; vielleicht ist aber dieser obere Theil der schönen Kanzel aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts; mit Gewissheit lässt sich etwas darüber nicht behaupten, weil eben der ganze Kanzelbau bei allem Reichthum seiner Gruppirung doch an Ornamenten sehr arm ist, die eigentlich architektonische Gliederung aber nur sehr langsam sich zu ändern pflegte; die Aenderung ging am schnellsten in der Ornamentik und der Bogenform vor sich und beides fehlt an der Kanzel. Symmetrisch damit steht an dem südöstlichen Pfeiler der Kreuzung ein Bau, der auf sieben Säulen eine Brüstung trägt und also ganz dem Unterbau der Kanzel gleicht. Hier erschien jeder neugewählte Doge mit den 41 Wählern, wurde von dem ältesten derselben dem Volk vorgestellt, hielt eine Rede an dasselbe und wurde von hier aus auf dem Bigonzo, ein tragbarer Sitz, um den Marcusplatz herum bis an die Riesentreppe getragen. Ausserdem wurden von hier aus dem Volke die Reliquien gezeigt.

 

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