Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 192 194

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gefertigt, zeigt den Dogenpalast als eine unregelmässige Gebäudegruppe. vor der sich eine doppelte Bogenhalle hinzieht, welche, in der den Miniaturmalern gewöhnlichen Weise modificirt, doch venetianisch-gothische Formen aufweist, woraus also doch wenigstens zu schliessen ist, dass diese Bogenhallen nicht die alten sein sollen, welche sich vor den jetzigen dort befunden haben mögen, da in dem Vorschlag des Calendario nicht von construere, sondern von reconstruere die Rede ist, welche aber doch jedenfalls byzantinische Formen hatten.
Aus alle dem nun schliessen wir, dass in Calendario's Zeit, vielleicht in Folge seines Vorschlags, die Säulenhallen begonnen wurden, hinter denen die Resultate der einzelnen beschlossenen zusammenhanglosen Baue in malerischer Unregelmässigkeit hervorragten, an deren vordern Front sich jene Säulenhallen anlegten, wie man denn noch jetzt in den Rückwänden dieser Hallen ganz unregelmässig vertheilte Thüren und Fenster mit ältern Bauformen, und zum Theil vermauert findet, ein Beweis, dass man bei Erbauung der Hallen Vieles von dem alten Bau beibehielt, es also weniger auf einen totalen Neubau, als auf eine Decoration des unregelmässigen Altbaues nach aussen hin, vielleicht auf ein Verstecken jener Unregelmässigkeit abgesehen war. Hätte man damals gleich den ganzen Oberbau mit beschlossen, so würde jedenfalls die innere Einrichtung organisch mit der äusseren Disposition zusammenhängen, oder vielmehr letztere aus jener heraus entwickelt und mancher Uebelstand dadurch vermieden worden sein.
Ob nun dieser Vorhallenbau nach Calendario's Entwurf ausgeführt < ward, das muss dahingestellt bleiben, dass er dabei mit beschäftigt war, kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, denn der sonst immer sehr gewissenhafte Cadorin weisst durch Documente nach , dass im Anfang des 14. Jahrhunderts ein gewisser Pietro Baseggio Proto-, d. i. Werkmeister des Palastes war, welcher noch vor 1354 starb und zum Commissar und Vollstrecker seines letzten Willens den Filippo Calendario, ernannte, welcher sein langjähriger Freund und Gefährte, überdem auch noch sein Verwandter war, da des Filippo's Sohn Nicolo Calendario der Schwiegersohn Baseggios war; Calendario mochte dem Baseggio daher wohl schon früher bei der Arbeit am Palast beigestanden haben und in seine Pläne eingeweiht sein. Nach Baseggios Tod tritt nun Calendario als Werkmeister und Oberintendant des Palastes auf und diese Stellung gab ihm Gelegenheit, sich dem Dogen zu nähern, in dessen Verschwörung er durch den Arsenalaufseher Bertuccio so tief verwickelt ward, dass er am 15. April 1355, wie wir oben bereits erwähnten, an den Fenstern seines eigenen Baues erhängt ward; bei dieser kurzen Wirksamkeit kann natürlich nur wenig nach seinen selbst-

 

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