Das Ghetto

 

Vorgeschichte

Stadtplan
Ghetto Vecio,Novo Jüdisches Museum und Schola Grande Tedesca Zugang vom Canale di Cannaregio Schola Levantina Schola Ponentina Scuola Mahnmal für die ermordeten Juden Casa di Riposo- Altersheim Legende bei langsamem Bewegen des Mauszeigers.

Das teren del Geto (Gebiet der Gießereien) ist im Sestiere von Cannaregio gelegen. Im 15. Jahrhundert waren innerhalb jenes Areals, das heute als Ghetto Vecchio bezeichnet wird (im Plan das trapezförmige Gebiet zur Linken), wenigstens vierzehn Kupferöfen anzutreffen. Unter den Gießern waren auch Deutsche (todesci magna lonza). Die Verwaltung des Ghetto unterlag der Casa del geto o Officio del geto del rame. Dabei handelte es sich, wie auch bei der im 14. Jahrhundert reorganisierten Casa del canevo oder der Casa dell'Arsenale um eine staatliche Institution. Wie das Arsenal war auch das Ghetto, wo Artillerie für den Stato da terra hergestellt wurde, eine technisch-militärische Einrichtung, die am Rande der Stadt untergebracht war. Aus Sicherheitsgründen war das Ghetto Vecchio ummauert gewesen. Der Zugang befand sich am Canale di Cannaregio, wo sich ein größeres Torhaus befand (im Plan ganz links).

Jene im Plan deutlich erkennbare fünfeckige Insel, die heute vom Campo del Ghetto Nuovo eingenommen wird, wurde in den ersten beiden Jahrzehnten des Quattrocento auf staatliche Initiative hin befestigt. Darauf wurde eine Holzbarracke (Casone) errichtet. Im Jahre 1434 veräußerte der Staat das gesamte Geto del rame an den Adeligen Marco Ruzini. Dieser baute es daraufhin um. 1455 wurde das Ghetto von den aus Verona stammenden und in einer casa grande in der Pfarrei von San Geremia wohnenden Kaufleuten Costantino und Bartolomeo da Brolo erworben. Ihre Nachkommen behielten es in Teilen bis zu ihrem Aussterben in der ersten Hälfte 18. Jh, als der letzte da Brolo, Giuseppe, es unter die Verwaltung der Procuratori de Ultra gab. 1459-1465 war die Insel mit 25 Häusern in Form einer corte di case bebaut und wurde als Geto niovo oder novo bezeichnet. Damit war das Ghetto Nuovo als einheitlicher Komplex definiert, wie schon Sabellico (Marco Antonio Coccio) im Jahre 1502 berichtet. In diesem Jahr war das Ghetto Vecchio in heruntergekommenen Zustand. Inzwischen war es an Zuan Antonio Muazzo übergegangen und erwirtschaftete durch Vermietung an Handwerker 150 Dukaten im Jahr. Zwei Jahre später war das Gelände Mitgift der Frau von Leonardo Minotto; der Wert wurde mit 2700 Dukaten angegeben. Die beiden Brunnen im Campo Geto Novo zeigen noch heute ein Wappen der da Brolo; und eines der Häuser besitzt zum Rio del Gheto noch Reste von Spitzbogenfenstern. 1455 bekamen die da Brolo auch das Recht über die Verbindungsbrücke zum Ghetto Vecchio und ließen eine weitere Brücke zur 1375 erstmals errichteten Kirche San Girolamo im Nordosten bauen.

 

Ghetto um 1500
Das Ghetto um 1500 mit dem geschlossenen Wohnkomplex der da Brolo (rechts) und dem Ghetto Vecchio (links).

Das Ghetto im Wandel vom gotischen Wohnkomplex zum isolierten jüdischen Viertel

Die Juden in Venedig, deren Zahl sich durch Flucht vor Verfolgungen in Spanien und Portugal nach 1492 erheblich vergrößert hatte (zudei ... stanno in questa terra di gran numero), waren vormals in verschiedenen Pfarreien (in diverse caxe et contrade) ansässig, besonders in jenen wie San Boldo, Sant'Agostin, Santa Maria Mater Domini, San Cassian und San Polo, die sich in der Nähe des Rialto, also des Finanz- und Wirtschaftszentrums, befinden. Dies hatte funktionale Gründe. Von den Juden wurde teils ein höherer Mietzins verlangt, gehörten sie doch, so beispielsweise der Patrizier Domenico Capello, eigentlich gar nicht nach Venedig (come persona non è per stanziar in questa terra). Zu Beginn des 16. Jahrhunderts mehrten sich die Bestrebungen, die Juden zu isolieren oder ganz aus der Stadt abzuschieben. So schlug Giorgio Emo im Jahre 1515 vor, die Juden auf der Giudecca anzusiedeln, was allerdings abgelehnt wurde. 1516 war Zaccaria Dolfin im Collegio di opinion di mandarlo tutti a star in Geto nuovo und ch'è come un castello, e far ponti levadori et serar di muro; abino solo una porta la qual etiam la serano e stagino lì. Im Dekret vom 29. März 1516, in dem den Juden schließlich das Ghetto Novo zugewiesen wurde, wurde dies noch verschärft: Auch die Kanalseiten mußten ummauert und die Wassertore geschlossen werden, und an den beiden Verbindungsbrücken wurden Tore errichtet, welche nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geöffnet waren. Die Serenissima war stolz auf die von ihr erfundene Einrichtung, die in den offiziellen Darstellungen als zum Schutze der Juden notwendig dargestellt wurde. Der Bankier Anselmi, der zwangsweise zu einem der neuen Bewohner des Ghetto wurde, wies schon zu Beginn auf den unzureichenden Platz im Ghetto hin. 1541 wurde den Juden schließlich erlaubt, auch im Ghetto Vecchio zu leben. Durch die notwendigen Unterteilungen wurde der gotische Wohnkomplex der da Brolo massiv fragmentiert. Der bauliche Zustand verschlechterte sich zunehmend, so daß gegen Ende des 16. Jahrhunderts Bertuzzi, der eines der Häuser von den da Brolo geerbt hatte, meinte, daß man massiv in das Ghetto investieren müßte, um es Christen zumuten zu können, sofern die Juden ganz weggingen. 1633 mußte aufgrund von Platzmangel das Ghetto Nuovissimo (im Plan ganz rechts) errichtet werden. Bemerkenswert ist besonders der am Rio di San Girolamo gelegene Wohnungsbau mit enger Anlehnung an zeitgenössische Palast-Architektur.

Campo Gheto Novo
Campo Gheto Novo, 2005

Obschon der Verschlußzustand des Ghetto von Napoleon aufgehoben wurde, erlangten die Juden erst 1818 als nunmehrige cittadini ordinari des Königreichs Lombardo-Veneto Besitzrechte, Zugang zur Universität und das Recht auf freie Berufswahl. Das Ghetto verlor zu Beginn des 19. Jh. massiv an Bewohnern; die Bauten verfielen vollends. 1834 wurde am Rio di San Girolamo und Campo Ghetto Nuovo eine Gruppe sechsstöckiger Häuser abgerissen und an der Nordseite wurde das Altersheim der jüdischen Gemeinde in Formen eines reduzierten Klassizismus errichtet. In fünf Jahren wurde die Kanalseite des Ghetto Nuovo radikal umgestaltet. Bis heute ist der städtebauliche Zustand unbefriedigend geblieben. Der Campo Ghetto Nuovo hat seinen geschlossenen Charakter verloren.

Scola TedescaScola Spagnola
Schola Grande Tedesca und Schola Spagnola

Unter den fünf Synagogen von künstlerischer Bedeutung sind die Schola Levantina (1683-1700), Schola Spagnola oder Ponentina (1660) und die Schola Grande Tedesca (die älteste der Synagogen, 1528/1529, nach aschkenasischem Ritus) hervorzuheben. Der Baumeister der Schola Levantina bediente sich mit der Verwendung von Putzspiegeln und der Gestaltung der Öffnungen einer an Baldassare Longhena und dessen Collegio Flangini (1658-1660) geschulten Formensprache. Frank (2004) schreibt den Entwurf Longhena zu, die Ausführung mit Änderungen Alessandro Tremignon. Mit ihrem dezidiert barocken Habitus emanzipiert sich die Scuola Levantina deutlich von der sonstigen Bebauung des gesamten Ghetto. Die kleine Erweiterung der Gasse nordwestlich der Levantina ist von dem ungeschlachten Bau einer Grundschule aus dem 20. Jh. geprägt; die Wirkung der Synagoge wird hiervon aber nur geringfügig beeinträchtigt.

Scola LevantinaDetail der Fassade
Schola Levantina

Seit einigen Jahren ist das Ghetto Gegenstand umfangreicher Sanierungsmaßnahmen, die denkmalpflegerisch nicht unproblematisch sind. Insbesondere sind alle im Kapitel Putzsanierung angesprochenen Gesichtspunkte leider auch hier vollumfänglich gültig.

Literatur

Concina, Ennio: Storia dell'architettura di Venezia, Milano 1995, pp. 265ss
Concina, Ennio; Camerino, Ugo; Calabi, Donatella: La città degli Ebrei. Venezia 1991
Curiel, Roberta, Dov Cooperman, Bernard: The Ghetto of Venice. London 1990

 

Impressum Venedig