Einführung zum Palastbau in Venedig

 

Ca'da Mosto
Ca'da Mosto
Ein Palast wird im allgemeinen in Venedig als Casa (abk. Ca') bezeichnet, gab es doch nur drei Paläste in der öffentlichen Wahrnehmung: den Dogenpalast (Palazzo Ducale), den Bischofspalast in Castello sowie die Residenz des Patriarchen von Grado beim Rialto1. Eine bemerkenswerte Ausnahme hiervon war der zerstörte palatium der Familie Ziani bei Santa Giustina (13. Jhd) 2. Von den sogenannten "byzantinischen" oder vorgotischen Palästen des 13. bis 14. Jahrhundert gibt es heute nur noch wenige, und diese sind im 19. Jahrhundert weitgehend verändert worden. Viel alte Substanz ist noch an der Ca' da Mosto am Canal Grande nach der Rialtobrücke erhalten, auch wenn ihr vernachlässigter Zustand auf Dauer dem Bau nicht sonderlich zuträglich sein dürfte. Eine Restaurierung (mit Umbau zum Hotel) ist allerdings bald zu erwarten. Die dekorativen Details des Komplexes Loredan und Farsetti, heute Stadtverwaltung, entstammen weitgehend dem 19. Jahrhundert. Dennoch läßt sich die Fassadenkomposition einer typischen "casa-fondaco" noch klar ablesen: eine Arkadenreihe im Erdgeschoß, welche zum Ein- und Ausladen von Waren diente, und ein ebenfalls durchgehend aufgerissener Piano Nobile (das in Höhe und architektonischem Ausdruck gesteigertes Hauptgeschoß). Im Grundriß äußert sich dies in einem zentralen Saal, der sich zur Fassade T-förmig erweitert.

Ca'd'Oro
Ca'd'Oro
Im Verlaufe der Gotik, die im venezianischen Profanbau erst sehr spät im 14. und 15. Jahrhundert ihren Siegeszug feiern konnte, wandelten sich die Proportionen des zentralen, über die ganze Gebädetiefe durchgesteckten Saals (dem sog. portego). Der noch bei den vorgotischen Bauten gebräuchliche T-förmige Grundriß mit Erweiterung zur Hauptfassade wurde zugunsten eines L-artigen, später nur noch geraden durchgehenden Saales aufgegeben. An manchen Architekturen des 15. Jahrhunderts am Canal Grande wird Maßwerk, welches sich vom Dogenpalast herleitet, verwendet. Der größenmäßig bedeutendeste Bau dieses sog. gotico fiorito in Venedig ist die Ca' Foscari an der volta di canal. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts gewinnen Nebenräume gegenüber dem portego an Bedeutung, wie z.B. beim Palazzo van Axel. Für die Ca'd'Oro wurde eine farbige Fassung nachgewiesen, und die zunehmende Sensibilisierung bei Sanierungsmaßnahmen führte auch bei anderen Bauten zur Konservierung der alten polychromen Reste, in jüngsten Einzelfällen denkmalpflegerischer und künstlerischer Ignoranz allerdings auch zur Vernichtung (Pal. Gritti Badoer, 2004). Gemälde aus dem 15. und 16. Jahrhundert, insbesondere von Carpaccio und Gentile Bellini, lassen eine intensive Polychromie der gotischen Architektur erkennen. Noch in den 1480er Jahren baute man im lokalen gotischen Stil.

Palazzo Spinelli
Pal. Spinelli

Pal. Contarini
Pal. Contarini
Bedeutende Häuser des 16. Jahrhunderts sind vor allem die Paläste Mauro Codussis, der Palazzo Loredan Vendramin und der Palazzo Corner Spinelli, ersterer mit einem Rückgriff auf einen T-förmigen Saal. Unter der "byzantinischen Renaissance" (John Ruskin) wird allgemein eine Stilrichtung mit lombardischem Einflüß verstanden. Einer der bedeutendsten Bauten dieser Familie ist der Palazzo Contarini. Was den Profanbau angeht, so konnte, ganz im Gegensatz zu den Kirchen, Andrea Palladio nie Fuß fassen - die konservative Haltung der Venezianer in Bezug auf die architektonische Gestaltung Ihrer Heimatstadt war bisweilen nur schwer zu überwinden. Manche Paläste der zweiten Hälfte des Cinquecento, so der Palazzo Mocenigo oder der Palazzo Trevisan auf Murano, entstammen der Feder von Palladio-Schülern wie Daniele Barbaro 3. Ein anderer beudetender Architekt des 16. Jahrhunderts, Sebastiano Serlio, konnte manche seiner Vorstellungen in Kooperation mit dem Patrizier Francesco Zeno bei dessen neu zu errichtendem Palazzo verwirklichen. Die neuere Forschung 4 geht dazu über, den Bau vollständig Serlio zuzuschreiben. Die serliana - ein von zwei Kolonnaden mit schmalerem Interkolumnium flankierter Rundbogen - wurde zum beliebtesten Motiv an Fassaden ab dem 16. Jahrhundert und ersetzte oftmals die zentralen mehrbogigen Loggien der früheren Epochen. Im Palazzo Corner della Ca' Grande von Jacopo Sansovino ist - wie auch an der Libreria am Markusplatz - im Rahmen der Renovatio Urbis Venetiarum unter dem Dogen Andrea Gritti der Einsatz von Stilelementen der römischen Renaissance zu konstatieren. 5. Andere Architekten wie Michele Sanmicheli verarbeiteten ebenfalls antikisches Formenmaterial zu eigenständigen Erfindungen, doch sind bei diesen, im Gegensatz zu Sansovino, die Grundrisse ganz konventionell.

Ca'Pesaro
Ca'Pesaro
Bis ins 18. Jahrhundert bleibt man in Venedig der überkommenen dreigeteilten Gebäudetypologie des Palastbaus treu. Vorbild der großen Paläste war Sansovinos Ca'Corner. Im Vergleich mit anderen Städten in Italien wird der Barock gerne unterbewertet - dies liegt auch am Festhalten an der Bautradition. Im Settecento ist ein Wandel in der Raumstruktur zu konstatieren: anderthalb bis zwei Geschosse einnehmende Ballsäle wie im Palazzo Labia, Palazzo Zenobio oder Palazzo Barbaro treten neben den traditionellen portego oder ersetzen diesen gar. Die letzten Großbauten, die Ca'Pesaro, die Ca'Rezzonico und der Palazzo Grassi, sind heute allesamt museal genutzt, sind aber zu diesem Zwecke nicht immer sorgsam genug umgebaut worden. Besonders bei der kürzlichen Sanierung der Ca'Pesaro fällt die geschmäcklerische, auf billige Kontrasteffekte ausgerichtete Brüche-und-Wunden-Ästhetik, für die der Begriff Denkmalpflege kaum angebracht ist, unangenehm auf. Was den modernen Umbau historischer Bauten in Venedig angeht, scheint der Genius eines Carlo Scarpa leider bis heute singulär zu sein. Neben dem opulenten Barock des Architekten Baldassare Longhena, der sich in der Ca'Rezzonico und der Ca'Pesaro niederschlug und der auch von anderen Architekten adaptiert wurde, ist eine klassizistische, "antibarocke" Bewegung unter Antonio Diedo festzustellen, doch auch beim Palazzo Diedo Emo blieb man dem dreiteiligen Schema treu.

Schwere Verluste erlitt der venezianische Palastbau im 19. Jahrhundert. Nicht nur wurde zur Schaffung des Bahnhofs die Kirche Santa Lucia abgebrochen, sondern auch das gesamte sie umgebende Viertel mit den Palästen Rezzonico, Bragadin Vescovi und Lion-Cavazza wurde ausgelöscht. 6 Mit dem ökonomischen Niedergang des venezianischen Patriziats traten neue Bevölkerungsgruppen auf den Plan: ausländischer Adel, aufstrebendes Bürgertum und jüdische Unternehmer, die seit Napoleon nicht mehr im Ghetto wohnen mußten. Dem Geschmack der neuen Auftraggeber entsprechend hat sich das 19. Jahrhundert mit einigen neogotischen Um- und Neubauten hervorgetan. Dazu zählen der Palazzetto Stern, Palazzo De Maria auf der Giudecca sowie der radikale Umbau des Palazzo Donà Giovanelli. An manchen neugotischen Bauten wurde versucht, die mittelalterliche Polychromie wiederzubeleben. Von den Lagerkämpfen der beginnenden Denkmalpflege blieb auch Venedig nicht verschont 7: im Glauben, eine bessere Gotik schaffen zu können, wurde der Palazzo Cavalli Franchetti bis auf die Fassade abgerissen und neu errichtet, und anstelle des bedeutenden Palazzo Balbi Michiel Malpaga bei San Barnabà erhebt sich heute der neugotische Palazzetto Stern (dieser aber erst aus dem 20. Jahrhundert) 8. Auch in Venedig hat der vandalisme restaurateur gehaust.
Viele der Paläste erlitten Verfall, Plünderung und Vandalismus. Es sei hier auf die Beschreibung der Ca'd'Oro und anderer Bauten durch John Ruskin verwiesen. In glücklichen Einzelfällen wie dem Palazzi Barbaro konnten allerdings die Architektur und Innenarchitektur durch kunstsinnige neue Eigentüner gerettet werden.

Auf diesen Seiten wird der Versuch gemacht, einen großen Teil der Paläste in einem Katalog darzustellen. Besondere Berücksichtigung finden dabei die weniger bekannten Gebäude in den abgelegenen Vierteln und an Seitenkanälen. Es muß allerdings darauf hingewiesen werden daß der Katalog keineswegs vollständig ist - und in absehbarer Zeit auch nicht werden wird.

Anmerkungen

1 Schulz, Juergen: The new palaces of medieval Venice, Pennsylvania 2004, p. 5 2 cf. Fees, Irmgard: Reichtum und Macht im mittelalterlichen Venedig - die Familie Ziani, Tübingen 1988, passim. Der Palast ist nicht zu verwechseln mit einem heute als Pal. Ziani bezeichneten Gebäude, cf. Giandomenico Romanelli (a cura di), Palazzo Ziani, Venezia 1994.
3Die Vermutung von Foscari, Antonio: L'invenzione di Palladio per un "sito piramidale" in Venezia, in: Arte Veneta XXXIII.1978, pp. 136-141, daß die gemeinhin für den Palazzo Grimani a San Luca erachtete Entwurf eigentlich für die Palazzi Mocenigo gedacht gewesen sei, ist m.E. nicht haltbar. Lorenz, op.cit,, p. 50, möchte die Palazzi Mocenigo allerdings ausschließlich als Beispiele des "modo veneziano" sehen.
4cf. Frommel, Sabine: Sebastiano Serlio e il palazzo Zen a Venezia Il committente e l'architetto, in: Annali di Architettura, Rivista del Centro Internazionale du Studi die Architettura Andrea Palladio di Vicenza 13/2001, pp. 53-69
5 Tafuri, Manfredo: "Renovatio Urbis". Venezia nell'età di Andrea Gritti (1523-1538), Roma 1984
6 cf. Bassi, op. cit., pp. 368-380 sowie die Ansicht von Quadri, c. 1838
7 Bedeutendster Vertreter der von Ruskin beeinflußten Gruppe von Befürwortern des "restauro conservativo" war Conte Alvise Pietro Zorzi. Besonders die "Restaurierung" der Nord- und Westfassaden von San Marco durch Giovanni Battista Meduna stieß auf polemische Kritik. Die Streitschrift von Zorzi (1877) ist Gegenstand bei Wolters, Wolfgang: Noch einmal: Restaurieren oder Renovieren?, in: Strobel, Richard; Mörsch, Georg: Die Denkmalpflege als Plage und Frage - Festgabe für August Gebeßler, München 1989, pp. 191-193
8 cf. Bassi, op. cit., pp. 107, 118; Arslan, op. cit., p. 255

 

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