Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 97 99

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unten; zwischen den Tauben und unter den Löwenköpfen stehen schlanke Kelchstäbe mit symmetrisch von denselben auslaufenden und sich aufrollenden Ranken; die Arbeit ist fein, glatt, accurat, aber nicht mit besonderem Talent und ziemlich ohne Verständniss der Bestimmung eines Kapitäls ausgeführt; man sieht, dass es dem dieselbe Ausführenden lediglich darauf ankam, den gegebenen Raum zu verzieren, ohne dass er mit Bewusstsein arbeitete. Noch weniger mit Verständniss des Ueber-gangs von Säule zur Last, lediglich ornamental ist die Decoration einer andern Art Kapital, deren Beschreibung wir unterlassen, dafür lieber unsern Lesern eine Abbildung derselben in Fig. 48 gebend, da
sie unseres Wissens bis jetzt noch nirgends abgebildet sind, während sich die beiden eben beschriebenen Arten mehrfach wiedergegeben finden.*) Andere weniger interessante Kapitälgestaltungen übergehen wir füglich ganz. Die reichere Gestaltung der Netzkapitäle und ihre Variationen sind sämmtlich später und werden daher weiter unten erst erwähnt werden, sowie auch noch einige zwar ältere, aber erst am spätem Theile des Baues zur Verwendung gekommene. Viele von diesen
Kapitälen sind jedenfalls aus Altinum, Eraklea etc.; aus Altinum scheint man auch die auffallend flachen, den römischen ähnlichen Ziegel zu dem Bau bezogen zu haben, welche noch jetzt, mögen sie neu oder alt sein, von den Maurern Venedigs, die sie noch jetzt häufig zu verwenden pflegen, allineile genannt werden.
Dieses Herzuschleppen von Material zu dem grossen Bau mag viel dazu beigetragen haben, dass in jenen Provinzialstädten gar nichts mehr von ihrem frühern Glanz erhalten ist.
Noch zu erwähnen wäre hier die Bronzethüre zur rechten Seite des Haupteinganges aus dem Vestibüle ins Schiff; diese ist jedenfalls, wie alle Metallarbeiten jener Zeit, in Constantinopel gefertigt, vielleicht auch früher dort angewendet gewesen, denn ihre Arbeiten erinnern zum Theil sehr an das 9. Jahrhundert; sie ist in Bronze gegossen, und die darauf angebrachten Heiligen, sämmtlich griechische Heilige, sind gleich den griechischen Inschriften zum Theil mit verschiedenem Metall ausgelegt. Die Sage will, dass sie aus Justinians Zeiten stammen und von

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*) Z. B. in Selvatico: Sulla architettura e Scultura in Venezia, Venedig 1847, Seite 50, und in den Mittheilungen der k. k. Centralcommission für Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale. Jahrg. 1856, S. 65 ff.

 

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