Geschichte der Architektur und Bildhauerei in Venedig 157 159

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sie stellen das Leben des heiligen Markus, eine Jungfrau Maria und einen Engel dar; war vielleicht diese Kapelle ursprünglich der Verkündigung Mariä geweiht ? Diese Bestimmung würde wenigstens zu der Lage passen, da sie dadurch gewissermassen zur Vorhalle des Baptisteriums gemacht wird. Zwischen der Kapelle nämlich und dem Baptisterium liegt nur ein schmaler Raum, welcher jetzt durch die Thür W zugänglich ist. Da diese Thür aber, wie schon erwähnt, erst aus dem 14. Jahrhundert datirt, und da die beiden Kuppeln des Baptisteriums eine ganz andere Widerlagshöhe habe, als die Wölbungen der Kapelle 0, so liegt die Vermuthung sehr nahe, dass man diese beiden ziemlich gleichzeitigen Baue ganz getrennt aufführte, und erst später den Zwischenraum schloss, und das Ganze in eine Gebäudemasse vereinigte. Nachdem nämlich die Kapelle 0 schon ziemlich weit im Bau vorgeschritten war, begann man, wahrscheinlich zu Ende des 12. Jahrhunderts, den Bau des Baptisteriums m, und wie es scheint gleichzeitig den des Tesoro l, weil wohl in dieser Zeit, wo die Schatzkammer des Doms fast täglich Zuwachs durch reiche Geschenke erhielt, der bisher dazu bestimmte Raum N zu eng werden mochte. Der Palast mochte damals weiter in die Piazzetta hereinspringen, als jetzt und die beiden in Rede stehenden Räume lagen ganz im Winkel; dies mag wohl die Ursache zu der sehr einfachen Gestaltung ihres Aeussern gewesen sein.
Was zunächst das Baptisterium betrifft, so steht in demselben der S. 95 besprochene s. g. Stuhl des Marcus; ein Basrelief, die Taufe Christi darstellend, und augenscheinlich aus dem Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts stammend, deutet darauf hin, dass der Bau noch in diesem fortdauerte. Die Figuren dieses Reliefs sind schon bei weitem schlanker, der Stil etwas edler als um Mitte des 12. Jahrhunderts. Etwas älter ist jedenfalls die Madonna über dem Altar, zu dessen Rechten zwei Marmortafeln mit Blutflecken (?) eingemauert sind, welche von dem Gefängnisspflaster herrühren sollen, auf welchem Johannes der Täufer enthauptet ward; darüber ein Relief, ein Kopf auf einer Schüssel, ebenfalls wie es scheint aus dem 13. Jahrhundert und italienische Arbeit; die Mosaiks, welche ebenfalls das Gepräge dieser Periode tragen, stellen das Martyrium Johannes des Täufers, Heiligenporträts und Heiligengeschichten vor, die Kuppeln aber enthalten Darstellungen des Paradieses und Himmels. Die Disposition der Gewölbe ist hinlänglich aus dem Grundriss zu ersehen. Der Taufstein ist bedeutend später. Das Innere des Tesoro ist bei weitem einfacher, als das der übrigen Theile der Kirche. Ein genaueres Studium desselben war uns theils wegen der vielen darinstehenden Gegenstände (der Schatz ist noch jetzt ungemein reichhaltig, und enthält eine Menge kostbarer

 

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